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Viele Teile, verbunden mit Brüchen

Nastasja Penzar ist auch literarisch unterwegs zwischen den Kontinenten, in ihrem Debütroman geht es um den Alltag zwischen Gewalt und Kolonialismus in Guatemala. Ein Gespräch über Gott in Jugoslawien, politische Sprache und unfertige Puzzle

Von Julia Hubernagel

Die Gewalt ist immer präsent in „Yona“, dem Debütroman dieser doch eher ruhigen, sanft wirkenden Frau. Nastasja Penzar sitzt im Schatten im Neuköllner Körnerpark und erzählt von Guate­mala, dem wunderschönen, aber auch problemdurchzogenen mittelamerikanischen Staat, in den sie gleich nach dem Schulabschluss gezogen ist. Der Umzug nach dem Abitur, das ist das biografische Detail, das sie mit ihrer Hauptfigur teilt. Denn Yona hält nach dem Tod ihres Vaters in Deutschland nichts mehr und macht sich in Guatemala auf die Suche nach ihren Wurzeln.

Herzlich aufgenommen bei ihrer Tante Doña streunt sie durch die Straßen von Guatemala-Stadt, auf der Suche nach – ja, wonach eigentlich? Was ihrer Mutter zugestoßen ist, das will sie eigentlich gar nicht wissen, erfährt es aber letztendlich natürlich trotzdem.

Penzar lässt die Hitze Guatemalas unbarmherzig auf Yona wirken, sodass man den Filz zu spüren vermeint; den Filz, der die alten Matratzen überzieht, an denen tote Insekten kleben, und den Filz, der die Gesellschaft durchzogen hat. Die mara, die in alle Ritzen kriechende banda terrorista. Yona ist dabei mal die chula, mal die mija. Ihre Kosenamen haben etwas Beschwörendes, wie Zaubersprüche, ausgesprochen von Be­woh­ne­r:in­nen eines Landes, das den Erfinder des Magischen Rea­lismus hervorgebracht hat, Miguel Ángel Asturias, der 1967 den Literaturnobelpreis erhielt.

Penzars Guatemala-Umzug hat ein besseres Ende genommen als das ihrer Romanheldin. Nachdem sie erst in einem kleinen Dorf bei einer NGO arbeitete und schließlich auf eigene Faust nach Guatemala-Stadt gegangen ist, flog sie schließlich zurück nach Deutschland. „Das war nur kurzfristig gedacht“, sagt Penzar. Eigentlich habe sie schnell wieder zurückgewollt. „Aber ich dachte mir dann, dass ich meine Privilegien hier nutzen, studieren sollte und so vielleicht eher etwas verändern könnte als unmittelbar vor Ort.“

Bis auf Besuche im Land ist Penzar jedoch nicht wieder nach Mittelamerika gezogen. Losgelassen hat sie Guatemala trotzdem nie. Notizen habe sie sich damals nicht gemacht, sagt sie. „Das ist alles immer noch irgendwie präsent.“ Die Toten, die Gewalt, aber auch die Herzlichkeit der Menschen, der Unterschied zwischen Stadt und Land, das alles erleben Yona wie Nastasja gleichermaßen.

Penzars Leben ist überhaupt sehr von Städten geprägt. Die geborene Berlinerin hat schon in fünf Ländern gelebt. Nach dem Jahr in Guatemala studierte Penzar Romanistik in Leipzig und São Paulo, anschließend Sprachkunst in Wien. Heute lebt die 31-Jährige in der deutschen und österreichischen Hauptstadt.

Ihre Wurzeln hat die Schriftstellerin allerdings im ehemaligen Jugoslawien. Nach ihrer Geburt zogen ihre Eltern mit ihr wieder zurück nach Kroatien, nach Zagreb, wo die Familie herkommt. Kurze Zeit später brach jedoch der Jugosla­wien­krieg aus, sodass die Penzars zurück nach Deutschland, diesmal nach Frankfurt am Main, flohen.

Sich mit diesem Teil ihrer Geschichte zu beschäftigen, dem sei sie lange aus dem Weg gegangen, sagt Penzar. „Ich habe schon früh gelernt, dass es gut ist, so deutsch wie möglich zu sein.“ Ihre Eltern seien durchaus „überintegriert“ zu nennen.

Doch in ihrem zweiten Roman holt das nun nach, er wird von transgenerationalen Traumata handeln, und auch in ihrer erst kürzlich abgegebenen Dissertation beschäftigt sich Penzar mit dem Balkan. „Ich promoviere über Nationalismus und Religion in postjugoslawischer Literatur“, sagt sie. Selbst verbindet sie eine Hassliebe zur Religion, sie ist mit 14 Jahren aus der Kirche aus- und Jahre später schließlich wieder eingetreten.

Im einstigen Tito-Staat kommt dem Glauben aber ein ganz anderer Stellenwert zu. Katholisch, orthodox, muslimisch: Immer wieder entstehen zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen Konflikte, auch heute noch in den Staaten, in die Jugoslawien zerfallen ist. „Es ist dort entscheidend, wie man zur Kirche steht“, sagt Penzar. „Die Position der Li­te­ra­t:in­nen ist wichtiger als die Literatur selbst.“

Sie habe untersucht, wie Literatur auf nationalistische Tendenzen reagiert, und ob es atheistischen Au­to­r:in­nen irgendwie möglich ist, der Religion auszuweichen. Penzar versucht, den ehemaligen Vielvölkerstaat in literarische Worte zu betten.

Der deutsch-bosnische Autor Saša Stanišic, den sie sehr schätze, schreibt in seinem Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ von dem beginnenden Krieg und misst dabei der Drina, dem Grenzfluss zwischen Serbien und Bosnien und Herzegowina, eine besondere Rolle zu. „Die Drina ist eine Art Gott, die immer sein wird, aber nicht wirken kann. Sie kann sich nicht wehren gegen all die Leichen, die in sie geworfen werden“, sagt Penzar. „Vielleicht ist die Literatur auch so eine Drina.“

Berliner Porträts

Die Reihe Um dem ganzen Kulturschaffen auch mal ein Gesicht zu geben, sollen hier auf den Seiten den Sommer über in unregel­mäßiger Folge Berliner Künstler:innen porträtiert werden.

Die Folge Nastasja Penzar ist 1990 in Berlin geboren, sie veröffentlicht in Anthologien und Zeitschriften und übersetzt Gedichte aus dem Spanischen und dem Serbokroatischen. „Yona“ ist ihr Romandebüt.

Politisch sei die Literatur im postjugoslawischen Bereich allein schon wegen der Sprache, in der sie verfasst ist. „Serbisch und Kroatisch war lange eine Sprache, nur eben in kyrillischer und lateinischer Schrift“, sagt Penzar. „Die Kinder heute lernen nicht mehr beide Sprachen. Bosnisch ist auch sehr ähnlich.“

Besonders absurd sei, dass seit den Kriegen Literatur in den jeweiligen Ländern nur in der Landessprache verkauft wird: Was früher Dialekt war, wurde nun verschriftlicht und normiert. „Das heißt, wenn eine kroatische Autorin in Bosnien und Herzegowina oder Serbien publizieren möchte, braucht sie eine Übersetzung. Obwohl jeder Bosniake und jede Serbin den Text lesen kann.“

Penzar interessiert sich sehr für Sprachen, für die kleinen Feinheiten, spricht neben dem Serbisch-Kroatisch-Bosnischem Deutsch, Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Die zukünftige Dr. phil. arbeitet daher seit diesem Monat am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. „Für mich hat die Literatur aber klar Priorität vor der Wissenschaft“, sagt Penzar, die in Wien bereits 2016 ihr Theaterdebüt machte. Mit „_trokut_“, einem Stück, in dem Geflüchtete aus Jugoslawien und Syrien ihre Erfahrungen miteinander vergleichen.

„Das passt jetzt alles so gut zusammen“, sagt Penzar am Ende des Gesprächs. Guatemala, Kroatien, das Schreiben. „Aber eigentlich bin ich ein Mensch mit Brüchen.“ In der Jugend sei sie erst eine linke Straßenzecke gewesen, später HipHop-Fan, wollte lange Tänzerin werden, bevor sie Schriftstellerin geworden ist. „Ein Puzzle mit verschiedenen Teilen, die eigentlich nicht zueinander passen“, lacht sie.

Es sei denn, man drückt die Teile fest ineinander, und dann passt es irgendwann schließlich trotzdem. „Ja, das geht auch“, sagt Nastasja Penzar.

Nastasja Penzar: „Yona“. Matthes & Seitz, Berlin 2021, 208 Seiten, 22 Euro.

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