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Dann und wann ein Beiseitetreten

Die Spaziergangs-Bücher von David Wagner sind längst eine Art Klassiker. „Verlaufen in Berlin“ heißt der dritte Band

Von Dirk Knipphals

Die Geschichten von David Wagner beginnen oft denkbar unspektakulär, wie ein einfaches Heraustreten aus einer Haustür an einem ganz normalen Tag. „Fady und ich trafen uns zum ersten Mal im Sommer, Mitte August, es war heiß“, so fängt das Porträt eines aus Syrien geflüchteten Mannes an. „Ein Bekannter und seine Freundin sind in eine Kreuzberger Vorderhauswohnung gezogen“, so die Beschreibung von Partygesprächen in einem Berliner Zimmer, die sich zu einem kleinen Essay auswächst. „Nachmittags im Supermarkt, Fürstenberger Straße, Berlin-Mitte, Edeka, ehemals Kaiser’s“, so ein Tagebuch aus dem März 2020, das einen geradezu in die erste Lockdown-Zeit zurückbeamt.

Diese Texte haben etwas Anstrengungsloses, es ist, als müssten sie keine Hürden überwinden, um in einem Buch aufzutauchen, sie sind ganz selbstverständlich da. So etwas ist schwer beim Schreiben herzustellen, doch bei David Wagner sieht es ganz leicht aus. Was aber keineswegs bedeutet, dass diese Texte nichts von einem wollen. Im dem Geflüchteten-Porträt steht mittendrin ein Absatz wie: „Ich frage ihn, ob er zornig sei. Frage ihn nach der Wut. Er sagt, die Wut sei mittlerweile kalt: Kalt wie ein spitzes Stück Stahl.“ Das Gespräch im Berliner Zimmer weitet sich zu einer Einführung in die Entwicklungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Und das Tagebuch aus der frühen Coronazeit kann einen wirklich in die Zeit zurückversetzen, in denen das alles noch neu war: die Notwendigkeit, viel Zeit zu Hause zu verbringen, und die fehlenden Sozialkontakte.

„Verlaufen in Berlin“, so heißt dieser Band, in dem der 1971 geborene Schriftsteller und Berlin-Erwanderer David Wagner Gegenlegenheitstexte, Feuilletons und Stadtporträts versammelt. Zusammen mit dem 2001 erschienenen Band „In Berlin“ und dem 2011 erschienenen Buch „Welche Farbe hat Berlin“ ergibt er jetzt schon eine interessante Serie. „Bald drei Jahrzehnte spaziere ich durch Berlin“, heißt es an einer Stelle. Manchmal scheint es, als wundere sich David Wagner selbst darüber.

Die Zeit des Hauptstadt-­Hypes und der Prenzlauer-Berg-Hegemonie, die David Wagner von Anfang an sowieso eher ironisch begleitet hat, sind in diesem dritten Band selbstverständlich endgültig vorbei. „Es gibt kein unsaniertes Haus mehr in die Oderberger Straße und zu viele Ferienwohnungen“, stellt David Wagner sachlich an einer Stelle fest, um dann von alltäglichen Begegnungen mit Bekannten auf der Straße zu erzählen oder von Abenden im Haliflor.

Sehr schön und leicht wehmütig sind die Exkursionen in den Berliner Westen und dabei vor allem zur Architektur der Mauerstadt-Zeit geraten, zum Bierpinsel etwa in Steglitz oder zur großen, über eine Autobahn angelegte Wohnanlage in der Schlangenbader Straße. Was hätte, denkt man sich beim Lesen, aus dem aktuellen Berlin werden können, wenn man in den Zehnerjahren mit einem ähnlichen Mut und nicht immer nur mit bodentiefen Fenstern gebaut hätte. Auch der alten Gegend um den Bahnhof Zoo, noch mit dem Plakat mit dem grinsend für ein Chinarestaurant werbenden Harald Juhnke, setzt David Wagner ein kleines Textdenkmal. Und noch ein Abschied ist zu verzeichnen: In „Gleisdreieck mit Hund“ beschreibt Wagner seinen letzten Spaziergang mit dem 2018 verstorbenen Essayisten Michael Rutschky, mit dem er viel durch Berlin gelaufen ist.

So durchweht den Band dann und wann ein Beiseitetreten, das aber ziemlich gut zu Berlin passt und sich weiterhin von viel Gegenwart einfangen lässt. Es gibt ja immer neu und immer wieder anders immer viel zu sehen. Und dann hören die Geschichten von David Wagner oft ganz unaufgeregt auf.

David Wagner: „Verlaufen in Berlin“. Verbrecher Verlag, Berlin 2021, 219 Seiten, 16 Euro

Buchpremiere am 20. 8. 18.30 Uhr im Weinbergspark, umsonst und draußen, moderiert von Robin Detje

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