„Sterilisiert oder ins Lager geschickt“

Aus den deutschen Kolonien oder als Künst­le­r*in­nen kamen bis in die 1930er Jahre viele Schwarze Menschen nach Berlin. An ihre Verfolgung durch die Nazis werde kaum erinnert, sagt der Historiker Robbie Aitken. Am Sonntag werden zwei Stolpersteine verlegt

Filmdreh in Berlin im Jahr 1930 Foto: privat

Interview Susanne Memarnia

taz: Herr Aitken, wie haben Sie von dem Schicksal der beiden Schwarzen Berliner erfahren, die am Sonntag mit Stolpersteinen geehrt werden?

Robbie Aitken: Jacob Ndumbe war Teilnehmer der ersten deutschen Kolonialausstellung 1896 in Treptow. Ungefähr ab 1917 fand ich nichts mehr über ihn in den Akten. Im Arolsen Archiv des Roten Kreuzes fand ich aber eine Martha Ndumbe. Sie war die Tochter von Jacob. Für sie wurde 1952 ein Wiedergutmachungsantrag gestellt, von ihrer Mutter Dorothea Grunwaldt. Martha selbst starb 1945 im KZ Ravensbrück. Die Mutter lebte nach dem Krieg in Hamburg. Ihr Antrag war nicht erfolgreich, weil Martha als „Asoziale“ abgestempelt war.

Dann bekam man keine Entschädigung? Man musste nachweisen, dass man aus rassistischen Gründen verfolgt wurde?

Genau. Ferdinand Allen war das Kind eines Schwarzen Musikers, der aus Liverpool nach Berlin gezogen war. Seine Schwester sagte in einem Zeitungsartikel 1945, dass Ferdinand in Bernburg gestorben sei. Ich habe herausgefunden, dass er ein Opfer der T4-Aktion war, bei der die Nazis 1940/41 mehrere Hunderttausend behinderte Menschen ermordet haben.

Allen wurde also als kranker Mensch verfolgt, Martha Ndumbe als „Asoziale“. Spielte ihre Hautfarbe auch eine Rolle?

Schwarze Menschen hatten in den 20er und 30ern wenig Chancen auf dem normalen Arbeitsmarkt. Sie waren oft Künstler und Performer. Martha versuchte, als Prostituierte zu überleben, bei Ferdinand war es ähnlich.

Trotzdem hat man nach dem Krieg Schwarzen Menschen oder ihren Nachkommen keine Entschädigung zugesprochen?

Das ist kompliziert. Einige von Ferdinands Geschwistern haben Entschädigungen bekommen: ein Bruder, weil er im Exil leben musste; eine Schwester, weil sie ihre Ausbildung nicht fertig machen und keine Arbeit finden konnte während der NS-Zeit. Aber es gibt andere Schwarze Menschen, die sterilisiert worden sind oder ins KZ gebracht wurden und nach dem Krieg gar kein Geld bekommen haben.

Wie war die Stellung von Schwarzen Menschen im Nationalsozialismus?

Manche Familien sind aus ihrer Wohnung geworfen worden, damit NSDAP-Mitglieder diese übernehmen konnten. Schwarze Menschen, die kleine Firmen hatten, wurden von den Nazis boykottiert; die Bevölkerung wurde unter Druck gesetzt, nichts von ihnen zu kaufen. In Düsseldorf wurde ein Mann namens Hilarius Gilges 1933 von SS-Männern umgebracht. Mit den Nürnberger Gesetzen 1935 steigerte sich die Verfolgung, sie wurde erweitert auf Schwarze Menschen.

Welche Folgen hatte das?

Ab 1935 durften immer weniger Schwarze Deutsche Kinder zur Schule oder eine Ausbildung machen. Auch deswegen wurden viele Künstler. Dennoch hielt sich die Verfolgung bis 1939 aus außenpolitischen Gründen in Grenzen. Die Nazis hatten immer noch die Idee, die Kolonien zurückzugewinnen und wollten es sich mit Kamerun oder Togo nicht völlig verscherzen.

Und als der Krieg begann?

Gemischte Paare zum Beispiel mussten sich vor 1939 zwar trennen, aber es gab keine allzu große Konsequenzen. Es gab Drohungen. Nach 1939/40 wurde man mit großer Wahrscheinlichkeit sterilisiert oder in Lagern gefangen.

Am Sonntag werden in Berlin-Mitte Stolpersteine für die Schwarzen NS-Opfer Martha Ndumbe (Max-Beer-Straße 24, 12.30 Uhr) und Ferdinand Allen (Torstraße 176–178, 13.30 Uhr) gelegt. Die Initiative zu diesem Gedenken ging vom Historiker Professor Robbie Aitken von der Uni Sheffield Hallam aus und wird von der Koordinierungsstelle Stolpersteine sowie vom Projekt „Dekoloniale. Erinnerungskultur in der Stadt“ unterstützt. Bei diesen beiden Steinen handelt es sich erst um die zweite und dritte Erinnerung an Schwarze NS-Opfer in Berlin.

Am Samstag, 11.30 Uhr, wird in Köpenick ein Stolperstein für Bruno Lüdke verlegt. Dem Hilfsarbeiter wurden in der NS-Zeit zahlreiche Morde an Frauen zur Last gelegt; er starb 1944 in Folge von Menschenversuchen in Wien. Ein Prozess wurde ihm nie gemacht. Heute gilt als geklärt, dass er keine dieser Taten begangen hat. Die Verlegung erfolgt in Anwesenheit von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Schauspieler Mario Adorf, der Lüdke in einem Film verkörpert hat. Inzwischen hat er sich von der Darstellung distanziert. (taz)

Es gab verschiedene Wege, wie Schwarze Menschen nach Deutschland gekommen sind. Welche Rolle spielten die ehemaligen Kolonien dabei?

Eine große. Ich habe etwa 1.200 Menschen gefunden, von denen ungefähr 50 Prozent aus den deutschen Kolonien kamen; die Mehrheit aus Kamerun, aber auch aus anderen Teilen Afrikas: Liberia, Ghana, Somalia, sogar Südafrika. Sie kamen meist als Teil von Völkerschauen. Die Gruppe aus den Kolonien war dagegen heterogener: Es kamen Leute zur Ausbildung, als Diener, als Seeleute.

War es einfach, als Teilnehmer einer Völkerschau in Deutschland zu bleiben?

Nein. Viele, die zur ersten Deutschen Kolonialausstellung kamen, äußerten den Wunsch, in Deutschland zu bleiben, um eine Ausbildung zu machen. Sie sagten, sie wollten danach wieder in die Kolonien gehen, um dort ihre neuen Fähigkeiten einbringen – sozusagen als Teil des kolonialen Projekts die Wirtschaft dort aufbauen.

Haben sie das gesagt, damit sie bessere Chancen hatten, hierzubleiben? Oder haben sie sich wirklich als Teil eines kolonialen Projektes begriffen?

Nein, ich glaube nicht, dass sie das wirklich dachten, aber es hat ihre Chancen erhöht. Martin Dibobe, der bekannte Schwarze Berliner U-Bahn-Fahrer, hatte in der Zeitung inseriert, dass er in Kamerun eine Dampfmaschinenfabrik aufbauen wolle. Natürlich kam es nicht dazu, weil er hiergeblieben ist.

Wie war die rechtliche Stellung der Gebliebenen?

Soweit ich weiß, gab es nur drei Familien, die die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen haben: In der Kaiserzeit etwa die Familie Diek, die erst in Hamburg, später in Danzig lebte. In der Weimarer Zeit wurde eine Familie aus Togo eingebürgert und die Familie Boholle in Berlin.

Warum sie und andere nicht?

Schwer zu sagen Bei Diek lag es vielleicht daran, dass er einer der ersten war, der sich um die Staatsbürgerschaft beworben hat. Die Frage, ob es Schwarze Deutsche geben kann, war damals nicht so präsent. Diek führte ein bürgerliches Leben, hatte Arbeit und war Teil der lokalen Community. Während der Weimarer Zeit war es ähnlich. Erfolgreiche, gut verdienende Menschen hatten es leichter. Josef Boholle hatte ein Haus in Karlshorst, seine Familie führte ein Mittelklasseleben und bekam auch gute Referenzen von der Polizei.

Foto: privat

Robbie Aitken

45, ist Historiker mit Schwerpunkt Schwarze Deutsche. Er lebt und arbeitet in Sheffield in Großbritannien.

Wie viele Schwarze Menschen lebten 1933 in Berlin?

Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre waren es 250 bis 500 Menschen. Es ist schwer zu sagen, Leute kamen und gingen, vor allem Schwarze Künstler. In Berlin gab es auch viele Schwarze Menschen aus den Staaten. Weil Josephine Baker, die Chocolate Kiddies und andere bekannte Gruppen hier waren, haben andere das nachgemacht. Und manche blieben.

Wie wurden Schwarze Menschen damals von Berlinern angesehen?

Familien, die längerfristig hier lebten, hatten weiße Bekannte und Freunde und waren Teil von deren Communitys. Aber es gab auch diesen exotischen Blick – und spätestens ab Anfang der 30er-Jahre zunehmenden Rassismus, der es für Schwarze Menschen gefährlich machte, auf der Straße zu sein.

Bis heute wissen viele nicht, dass es Schwarze Deutsche gibt. Woran liegt das?

Ich glaube, es gibt eine „colonial amnesia“. Man sieht das an den Wiedergutmachungsgeschichten von Schwarzen Menschen. Zuständige Beamte wussten oft überhaupt nichts über die Kolonien. Es gibt bisher auch erst zwei Stolpersteine für Schwarze Menschen: einen in Frankfurt am Main für Hagar Martin Brown, der von den Nazis umgebracht wurde, einen für Mohamed Hussein in Berlin.