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Ehrenamt vor Arbeitsmarkt

Das Hamburger Projekt „Mitmacher“ vermittelt Geflüchtete in Ehrenämter. Das stärke nicht nur das Selbstbewusstsein und ermögliche es, Kontakte zu knüpfen. Es verbessere auch die Chancen in Bewerbungsverfahren, sagen die Initiatorinnen. Geld gibt es aber keins

Von Nele Aulbert

Lockdown, Ausgangssperren, Personenbeschränkung – Menschen, die gerade in einer Stadt oder Gesellschaft ankommen, trifft die Pandemie besonders schwer. Was tun, wenn das soziale Leben wegbricht, die Möglichkeit, einen Sprachkurs zu machen oder einen Job zu finden? Um das Ankommen zu vereinfachen, haben zwei junge Hamburgerinnen ein Projekt auf die Beine gestellt, das Integration und Ehrenamt verbindet.

Die Initiatorinnen Anne Busch und Regina Fröhlich lernten sich 2016 bei einem Workshop kennen und gründeten das Projekt „Mitmacher“. „Wir haben Unterkünfte für Geflüchtete besucht und fragten aktiv nach, wie es den Menschen geht und was sie sich wünschen“, sagt Fröhlich. Die Antwort sei meist: „Wir möchten ankommen.“

Viele erzählten von ihrer Arbeit, die sie eigentlich erlernt und ausgeübt hatten, von dem Warten auf Antworten der deutschen Behörden und auf Plätze in Deutschkursen. „Wir hörten oft: Wir fühlen uns klein!“, sagt Busch. Daraus entstand die Idee, im Rahmen des Projektes Mitmacher geflüchtete Menschen an ehrenamtliche Einsatzstellen zu vermitteln.

Ein Ehrenamt kann auch ohne Arbeitserlaubnis ausgeübt werden, der Einstieg ist nicht mit langwierigen behördlichen Prozessen verbunden. „Wir möchten, anstatt immer nur die Schwierigkeiten während der Integration zu fokussieren, die Stärken der Menschen hervorheben“, sagt Fröhlich.

Wegen der Pandemie fielen viele Ehrenämter weg, „Mitmacher“ fand dafür neue unter freiem Himmel

Das Projekt findet großen Anklang: Gestartet in Harburg, arbeitet Mitmacher mittlerweile in ganz Hamburg und Teilen Niedersachsens.

Auch Sanaa Hamdan ist Mitmacherin. Sie lebt seit drei Jahren in Hamburg und arbeitete in Syrien als Rechtsanwältin. Zehn Jahre lang hatte sie ihre eigene Kanzlei. In Deutschland darf sie den Beruf nicht weiter ausüben, momentan liegt ihr Augenmerk auf dem Deutschkurs. Der fand wegen der Pandemie aber im vergangenen Jahr nur online statt. „Ich wollte meinen C1-Kurs nicht digital machen und habe über vier Monate gewartet, ob Präsenzkurse doch möglich sind – am Ende habe ich mich doch angemeldet“, sagt sie.

Während der Pandemie fehlte ihr vor allem der Kontakt zu ihren Mitmenschen – mal rausgehen, das Fitnessstudio besuchen. Dann erzählte ihr ein Freund von Mitmacher und sie meldete sich an. Seit drei Monaten betreut Hamdan nun drei bis fünf Stunden die Woche Kinder in einem Jugendzentrum. „Ich war schon immer kreativ und habe gerne mit den Händen gearbeitet“, sagt Hamdan. Mit den Kindern bastelt sie viel, organisiert Spiele und kocht mit ihnen. Auch in Syrien war die 47-Jährige immer ehrenamtlich aktiv, in Hamburg wollte sie damit nicht aufhören: „Deutschland hat mir sehr gut geholfen, ich möchte gerne etwas zurückgeben.“

Mitmacher unterstützt die Geflüchteten im Ehrenamt etwa drei Monate. Danach gibt es ein Zertifikat. Hamdan möchte auch danach weitermachen, vielleicht sogar ein paar Stunden mehr die Woche, wenn der Deutschkurs zu Ende ist.

So wie Hamdan gehe es vielen Geflüchteten, für die das Ehrenamt gerade in der Pandemie wichtig sei: „Das Bedürfnis der Menschen nach Kommunikation und Austausch ist noch größer geworden. Viele Mitmacher*in­nen kommen zu uns und sagen: Ich möchte irgendetwas tun, es ist nicht wichtig, welches Projekt“, sagt Initiatorin Busch.

„Das Gute ist: Unsere Arbeit geht von vorneherein von einer Herausforderung aus, da war die problembasierte Arbeit durch die Pandemie gar nicht so neu“, ergänzt Fröhlich. Sie hätten zwar viele Einsatzstellen nicht mehr besetzen können, dafür aber neue soziale Projekte unter freiem Himmel entdeckt. „Wir sind manchmal selber überrascht, wie gut die Vermittlungen auch während Corona geklappt haben“, sagt Busch.

Die ehrenamtliche Arbeit bei Mitmacher wird bisher nicht vergütet. Das sieht Conni Gunßer vom Flüchtlingsrat Hamburg kritisch. Sie warnt vor Ausbeutung, wenn Geflüchtete für ihre Arbeit nicht entlohnt werden. Ein Beispiel: In Behörden werde viel Geld gespart, in dem in Gesprächen mit neu angekommenen Geflüchteten Dol­met­sche­r*in­nen eingesetzt würden, die selbst einen Fluchthintergrund haben: „Dolmetscher*in ist ein Beruf, der entlohnt werden muss. In vielen Behörden wird aber gefragt: Kannst du das mal kurz machen? Das fehlt dann jegliche Entlohnung oder Ehrenamtlichenpauschale“, sagt Gunßer.

Mitmacher sieht die ehrenamtliche Arbeit im Rahmen des Projektes aber keineswegs als Ersatz für eine entlohnte Arbeitsstelle. „Wir begleiten die Mitmacher*in­nen in ihrem Engagement und achten darauf, dass sie nicht öfter als ein- oder zweimal die Woche dort arbeiten“, sagt Busch. „Das Ehrenamt wird mit einem Zertifikat besiegelt, die Mitmacher*in­nen können Kontakte knüpfen und Erfahrungen sammeln.“ Das sei eine gute Grundlage für Bewerbungsverfahren.

Am Ende sei der Fokus auch ein anderer: „Wir wollen Menschen empowern und ihr Selbstbewusstsein stärken. Wegkommen von der Reduzierung auf den Status als Geflüchtete*r.“

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