Viele Flutopfer ohne Versicherung

Die Landesjustizminister prüfen nach der Katastrophe die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Naturgefahren

Durch Unwetter zerstörtes Haus in Altenahr in Rheinland-Pfalz Foto: Björn Kietzmann

Von Anja Krüger

Als Reaktion auf die immensen Schäden infolge der Flutkatastrophe im Westen und Süden Deutschlands prüfen die Jus­tiz­mi­nis­te­r:in­nen der Länder eine Pflichtversicherung für Naturgefahren. Das kündigte der NRW-Justizminister Peter Biesenbach an. Der Christdemokrat ist zurzeit Vorsitzender der Konferenz der Landesjustizminister:innen.

Etliche Hausbesitzer:innen, deren Gebäude den Fluten zum Opfer gefallen ist, haben keinen Versicherungsschutz. Das Problem: Obwohl viele Eigentümer von etwas anderem ausgehen, ist eine Gebäudepolice keine Allgefahrenversicherung. Sie ersetzt nur Schäden, die durch Ursachen entstehen, die im Vertrag aufgelistet sind. Überschwemmung, Starkregen oder Erdrutsche sind nicht Bestandteil einer Standardversicherung. Für diese und weitere Naturgefahren wie den Einsturz eines Dachs durch Schneedruck ist ein Zusatzschutz nötig, die sogenannte Elementarschadenversicherung. Die hat bundesweit aber nicht einmal jedeR zweiteE, in Rheinland-Pfalz sind es unter 40 Prozent.

Die Lan­des­jus­tiz­mi­nis­te­r:in­nen haben nach Überflutungen immer wieder über eine Pflichtversicherung diskutiert, zuletzt 2017. „Bei den näheren Prüfungen waren die verfassungsrechtlichen Bedenken schwerwiegender als die Argumente, die dafür sprachen, einer solche Zwangsverpflichtung zuzustimmen“, sagte Biesenbach der taz. Mit einer Pflicht würde der Staat in die Vertragsfreiheit der Versicherer eingreifen – die sich gegen den Annahmezwang wehren. „Ob diese dramatischen und verheerenden Ereignisse jetzt ausreichen, die Diskussion zu einem anderen Ergebnis zu bringen, wird sich zeigen“, sagte Biesenbach. „Ich werde das Bundesjustizministerium bitten, uns hierzu für die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister einen aktuellen Bericht dazu zu übermitteln, ob es die Situation nun anders einschätzt.“ Am Wochenende hatte sich die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) für eine Pflichtversicherung ausgesprochen. Sachsen, Baden-Württemberg und andere Länder haben das bereits in der Vergangenheit befürwortet.

Neu ist die Idee nicht. Bis 1994 mussten etwa in Baden-Württemberg Ge­bäu­de­be­sit­ze­r:in­nen einen Elementarschutz haben. Heute haben dort noch mehr als 90 Prozent der Häus­le­baue­r:in­nen diese Versicherung. In der Schweiz ist die Absicherung längst obligatorisch.

In Deutschland dagegen haben die Versicherer 22,1 Millionen Adressen in vier Kategorien für Überflutungsrisiken eingestuft. Von der Einordnung hängt ab, ob Kun­d:in­nen Versicherungsschutz bekommen und wie hoch die Beiträge sind. Danach sind 98.000 Adressen in der Kategorie 4 mit mindestens einem Hochwasser in zehn Jahren nach Angaben des Branchenverbands GDV derzeit nicht versicherbar – wären es nach baulichen Maßnahmen aber möglicherweise. Wer eine von 237.000 Adressen der Kategorie 3 hat, muss mit mindestens einem Hochwasser innerhalb von zehn bis 100 Jahren und einer entsprechend hohen Prämie rechnen. Die übrigen Adressen befinden sich in den Kategorien 2 und 1. Dort ist ein Hochwasser extrem selten oder gar nicht zu erwarten – und der Versicherungsschutz unproblematisch. In welche Kategorie die Überflutungsgebiete in Bayern, NRW und Sachsen fallen, kann der GDV nicht sagen.

Die Branche ist „grundsätzlich“ gegen eine Pflichtversicherung, teilte der GDV auf Anfrage mit. Eine Pflichtversicherung nehme jeden Anreiz für Prävention – mehr Schäden und letztlich unbezahlbare Prämien wären die Folge, heißt es.

98.000 Adressen in Deutschland sind nicht gegen eine Überflutung versicherbar

Dieses Argument nicht nachvollziehen kann Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen. Angesichts des großen Leids, das Überflutungen verursachen, werde niemand sehenden Auges auf Prävention verzichten. „Wir treten seit der Elbeflut von 2002 für eine gesetzlich verankerte Versicherungspflicht ein“, sagte sie. Ereignisse wie Starkregen, ein Erdrutsch oder Schneedruck könnten Haus­be­sit­ze­r:in­nen überall treffen. Mit einer Versicherungspflicht wäre der Schutz auch für Anlieger in der Kategorie drei und vier bezahlbar, auch wenn die übrigen möglicherweise etwas mehr bezahlen müssen.

Die Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen haben 2017 beschlossen, dass nur noch Flutopfer staatliche Soforthilfen erhalten, die keinen Versicherungsvertrag erhalten haben oder ihn nicht finanzieren könnten. Was das für die jetzigen Flutopfer bedeutet, ist noch unklar. Heyer hält es angesichts der nahenden Bundestagswahlen für wahrscheinlich, dass der Beschluss nicht angewandt wird. Eine dauerhafte Lösung sei das aber nicht: „Auf staatliche Zuschüsse, die oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind und zinsgünstige Darlehen, die sich nicht jeder leisten kann, gibt es keinen Rechtsanspruch“, sagte sie. Auf eine Versicherungsleistung auf Basis eines Vertrages, mit der ein Wohngebäude wiederaufgebaut werden kann, aber schon.

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