Baumhaus gegen große Straße

Ak­ti­vis­t:in­nen haben in der Wuhlheide ein Baumhaus errichtet. Mit ihrer Waldbesetzung demonstrieren sie gegen das Straßenbauprojekt Tangentiale Verbindung Ost, das die Wuhlheide einmal durchschneiden soll. Sie setzen dabei auf eine aktuell verbreitete Protestform

Bisher nur ein Baumhaus – Zuwachs wäre will­kommen Foto: Florian Boillot

Von Erik Peter

Etwa 500 Meter geht der schmale Weg von der Straße hinein in den dichten Wald aus Laubbäumen und Eichen ehe am Wegesrand plötzlich ein Baumhaus auftaucht. Auf sieben Metern Höhe hängt zwischen drei jungen Eichen eine Plattform, die auf einem Dreieck aus zusammengebundenen Baumstämmen aufliegt. Grüne Planen bieten einen Sicht- und Regenschutz; von oben herab hängen Transparente und eine Regenbogenfahne.

Am Boden sitzen drei junge Aktivist:innen, die in der Nacht von Sonntag auf Montag hier ihre erste Nacht verbracht haben. Ei­ne:r von ihnen, Florian, steigt in den Klettergurt und braucht keine halbe Minute, um oben anzukommen. Florian ist die erfahrenste Be­set­ze­r:in der Gruppe, war sowohl im Hambacher als auch im Dannenröder Forst, den beiden größten und längsten Waldbesetzungen der jüngeren Vergangenheit, und lernte dort wie man Baumhäuser baut und klettert.

Nun also Oberschöneweide. Hier, gleich neben dem Freizeit- und Erholungszentrum (FEZ), noch in Hörweite der Straße An der Wuhlheide, hat jetzt auch Berlin seine Waldbesetzung. Noch ist es nur ein Baumhaus, und nicht mehr als ein Dutzend Baumhausdörfer wie im vergangenen Herbst im hessischen Danni, aber womöglich bleibt es ja nicht dabei. Die Gruppe, sie nennen sich Queer_wuhl_ant:is, würden sich jedenfalls über Zuwachs bei ihrer „Queerstelle“ freuen. Sym­pa­thi­san­t:in­nen in den sozialen Netzwerken haben schon Kosenamen und Motto gesetzt: Wuhli bleibt!

Waldbesetzungen sind nicht neu. Bereits in den 1980er Jahren besetzten Aktivist:innen Wälder, um gegen Atomkraftwerke und Wiederaufbereitungsanlagen, später auch gegen Flughäfen zu demonstrieren. Mit dem jüngeren Aufkommen einer breiten Klimaschutzbewegung wenden sich Ak­ti­vis­t:in­nen nun vermehrt gegen Straßenbauprojekte. Fast 30 Besetzungen zählt die taz in den vergangenen zwei Jahren.

Gegen den Bau der A 100 besetzen Anfang Juni etwa 400 Menschen die Baustelle von zwei Seiten. 2013 demonstrierten Aktivst:innen von Robin Wood mit einem Baumhaus gegen den Autobahnausbau – wurden jedoch noch am selben Tag geräumt. (epe)

Bedroht ist das Waldgebiet durch das größte Straßenbauprojekt Berlins nach dem geplanten Lückenschluss der A 100, der Tangentialen Verbindung Ost (TVO). Die etwa sieben Kilometer lange Schnellstraße soll die Märkische Allee im Norden mit dem Knotenpunkt An der Wuhlheide/Spindlersfelder Straße im Süden verbinden und damit Wohnviertel wie Biesdorf vom Autoverkehr entlasten und zugleich das Gebiet besser an die Autobahn und den Flughafen BER anschließen.

Geplant sind vier Auto- und zwei Fahrradspuren, dazu zehn Brücken- und Stützbauwerke. Am Anschluss Marzahn ist ein futuristischer Kreisverkehr mit einer zweiten Ebene für Fahr­rad­fah­re­r:in­nen angedacht. Die Planungen für die TVO reichen bis 1969 zurück; im Jahr 2014 hat der Senat erneut den Bedarf festgestellt. Geprüft wird seitdem der genaue Trassenverlauf, dem, so heißt es, möglichst wenige Bäume und Gebäude zum Opfer fallen sollen. Im kommenden Jahr könnte das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen sein, 2024 mit den Baumaßnahmen begonnen werden. Laut Senatsvorlage vom Juni muss Berlin 10 Prozent der Kosten selbst tragen; 155 Millio­nen Euro sind insgesamt bislang eingeplant. Das von Rot-Rot-Grün formulierte Ziel einer parallelen Schienenführung als Verbindung für S- und Regionalbahn ist derweil über ein Planungsanfangsstadium nicht hinaus.

Auch wenn die TVO noch kein größeres Thema in der Stadt ist, die Umweltbewegung hat das Straßenprojekt schon länger auf dem Schirm. Ende April demonstrierte ein Bündnis um Stop A 100, zu dem auch Greenpeace, Attac, Nabu und Changing Cities gehören, in der Wuhlheide. Die TVO sei Zeugnis einer „veralteten und klimaschädlichen Verkehrsplanung“ und müsse gestoppt werden, hieß es im Aufruf. 15 Hektar Wald seien bedroht: „Eines der wichtigsten städtischen Wald- und Naherholungsgebiete Berlins würde dadurch zerschnitten und großflächig zerstört.“ Dagegen betonen viele Anwohner, große Teile der Lokalpolitik und auch die Industrie- und Handelskammer die Wichtigkeit des Projekts.

„Schon lange gab es innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung in Berlin Überlegungen, etwas zu starten“, erzählt ein:e Aktivist:in, die wie alle im Wald einen Fantasienamen trägt: Spinne. Die Person, ein Personalpronom lehnt sie wie alle Beteiligten an der Besetzung ab, sagt: „Wir haben uns auch im Bereich der A 100 umgesehen, aber da gab es keinen schönen Ort. Hier spürt dagegen, dass man in der Natur ist.“ Wildschweine etwa hätten sie schon am ersten Tag gesehen. Anderseits ist es nicht so abgeschieden: Keine 20 Meter vom Baumhaus entfernt verläuft eine Bahntrasse, jeder vorbeifahrende Zug unterbricht das Gespräch für einen Moment.

Geplant: vier Auto- und zwei Fahrradspuren, zehn Brücken

Die dritte Person, die am Montagabend vor Ort ist, aber mit dem mitgebrachten Schäferhund unter dem Baumhaus schlafen möchte, nennt sich Libelle. In die Klimaschutzbewegung sei sie einst über Extinction Rebellion gekommen, nun aber freut sie sich, dass ihr Protest ein explizit queerer ist. Wieso eigentlich? Libelle spricht von der Benachteiligung armer Menschen, die vom Klimawandel besonders betroffen sind, sowie von queeren Menschen, die immer noch nicht gleichberechtigt sind. „Beide Themen stehen für Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft“, sagt Libelle. Florian ergänzt: „Queer sein bedeutet Diskriminierungserfahrungen zu machen.“ Diese trügen dazu bei, „sich mit anderen Menschen zu identifizieren“. Der Umgang der drei ist rücksichtsvoll: „Bist du fertig mit Reden?“ „Darf ich ein zweites Bier trinken?“ Jede_r versucht die Bedürfnisse der anderen zu achten.

Einen queeren Ort zu schaffen sei aber nur das eine, natürlich soll ihr Protest sich dem weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den Weg stellen, sagt Spinne. „Wenn man Autofahren noch bequemer macht, gibt es keine Verkehrswende.“ Auch die Umwelt- und Artenschutzgutachten zur TVO hat Spinne gelesen. Demnach könnte die TVO noch scheitern, weil der Bau mehrere Tierarten gefährde. Betroffen seien vor allem Fledermäuse wie das Große Maus­ohr und Vögel wie der Steinschmätzer.

Florian findet es wichtig, jedem neuen Straßenbauprojekt der „fossilen Infrastruktur entgegenzutreten“. Florian spricht von einer „Politik der tausend Nadelstiche“, um Projekte teurer und unattraktiver zu machen. „Je mehr Druck erzeugt wird, desto schwieriger ist es für solche Projekte und desto leichter für einen progressiven Umbau der Städte.“ Sie alle sind sich einig: „So viel Zeit haben wir nicht mehr.“

Die Überzeugung teilen sie mit vielen Klimaaktivist_innen. Nach Zählungen der taz gab es landesweit an die 30 aktuelle oder kürzliche Wald- und Baumbesetzungen gegen Straßenbau- oder Tagebauprojekte. In der Region wurden im Februar vergangenen Jahres Bäume gegen die Tesla-Fabrik in Grünheide und gegen die Verwertung der Rummelsburger Bucht besetzt. Beide wurden schnell von der Polizei geräumt. Am Baumhaus in der Wuhlheide hat sich dagegen noch keine Polizei blicken lassen.

Florian, Spinne und Libelle hoffen derweil auf Unterstützung, um einen „tollen Ort zu gestalten“, wie Spinne sagt. Bis zu einem möglichen Baustart sei dafür noch viel Zeit.