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Therapie verschlägt’sdie Sprache

Sprach­mitt­le­r*in­nen übersetzen im psychotherapeutischen und psychiatrischen Bereich. 164 Kli­en­t*in­nen haben sie in Bremen geholfen. Ihre Finanzierung ist langfristig gefährdet

VonEiken Bruhn

Spezialisierte Sprach­mitt­le­r*in­nen für Übersetzungen im psychotherapeutischen und psychiatrischen Setting gibt es in Bremen seit September 2019 – die Finanzierung für das Modellprojekt ist nur noch bis Ende dieses Jahres gesichert. So steht es in einem Schreiben an die Mitglieder der staatlichen Gesundheitsdeputation, die am heutigen Dienstag von der Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) darüber informiert werden.

Dabei gibt es keinen Zweifel an der Wirksamkeit des Projekts, das von Refugio, dem Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer, koordiniert wird. Der Verein bildet die Sprach­mit­tle­r*in­nen aus, bietet ihnen Supervision und vermittelt sie an Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen und Psychiater*innen. „Der Zugang zu psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfe wird hierdurch für Geflüchtete mit psychischer Erkrankung erleichtert bzw. vielfach überhaupt erst ermöglicht“, heißt es in dem Schreiben der senatorischen Behörde. Und, dass Bremen mit der Finanzierung eine Lücke schließe, die durch eine fehlende gesetzliche Regelung auf Bundesebene für die Übernahme von Dolmetscherkosten in diesem Rahmen entstehe.

164 Klient*innen, darunter ein Fünftel Kinder und Jugendliche, hätten seit dem Start des Projekts davon profitiert, sagt Marc Millies, Sprecher von Refugio. Sie konnten sich auf diese Weise mit 40 niedergelassenen Psych­ia­te­r*in­nen und Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen verständigen. Dem Vermittlungspool gehören 51 Sprach­mitt­le­r*in­nen an, die 16 Sprachen sprechen.

Vergleichszahlen darüber, wie viele Menschen jetzt mehr behandelt werden können, gebe es nicht, sagt Millies: weil die Betroffenen vorher einfach unversorgt geblieben wären – oder fehlbehandelt. Dadurch würden vermutlich auch Kosten gespart, weil die Menschen jetzt eher sofort das bekämen, was sie brauchen.

Als Gewinn betrachtet auch die Psychotherapeutenkammer die Sprachmittler*innen. „Ich gehe davon aus, dass jetzt mehr Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen Nicht-Muttersprachler*innen behandeln“, sagt Rosa Steimke, Beisitzerin in der Kammer und Mitglied des Fachbeirats zum Thema Sprachmittlung. Zuvor hätten The­ra­peu­t*in­nen die Übersetzungskosten vorstrecken und sich dann selbst um eine Kostenübernahme kümmern müssen. Und das bei voll ausgelasteten Praxen. Die Wartelisten sind bei fast allen Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen lang, die Pandemie und ihre Folgen haben die Situation verschärft. „Das schaffen im Grunde nur diejenigen, die einen Schwerpunkt auf der Behandlung Geflüchteter haben und das Prozedere sehr gut kennen“, sagt Steimke.

Die Vorteile seien aber nicht nur organisatorischer Natur, sondern auch inhaltlicher. „Diese Sprach­mitt­le­r*in­nen werden speziell geschult für das Dolmetschen in therapeutischen Settings, das sind keine normalen Übersetzungen.“ Zudem seien es häufig sehr belastende und potenziell sekundär traumatisierende Erfahrungen, für die sie die richtigen Worte finden müssen. Da sei es gut, dass das durch die Supervision bei Refugio aufgefangen werde.

“Es kann sehr heilsam sein, wenn jemand aus dem eigenen Kulturkreis die Verletzungen anerkennt“

Rosa Steimke, Psychotherapeutin

Die Sprach­mitt­le­r*in­nen seien insofern Teil des Therapie-Teams, als sie nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur übersetzen könnten, sagt Steimke. Viele The­ra­peu­t*in­nen ließen sich Hintergründe erklären und erfahren dann, dass bestimmte Familienkonstellationen und Glaubenssätze sehr typisch in bestimmten Kulturen seien. Das helfe oft auch den Klient*innen. „Es kann sehr heilsam sein, wenn jemand aus dem eigenen Kulturkreis die Verletzungen anerkennt.“

Wichtig sei auch, dass die Be­hand­le­r*in­nen sich ebenfalls über Refugio weiterbilden könnten: wie die „Therapie zu dritt“ funktionieren kann, was es zu beachten gibt. „Das ist nicht Teil unserer Ausbildung.“ Steimke selbst hat bisher keine Sprachmittler*innen-Dienste in Anspruch genommen, hat aber viele Klient*innen, mit denen sie Englisch spricht. Sie könne sich vorstellen, im Therapieprozess an einen Punkt zu kommen, an dem es auf Englisch nicht weitergeht. „Es kann sein, dass dann ein Wechsel in die Muttersprache hilft.“

Abgebrochen werden muss zunächst keine begonnene Therapie, sagte am Montag der Sprecher der Gesundheitssenatorin. Die Sprach­mitt­le­r*in­nen würden im nächsten Jahr über den Coronafonds finanziert. Aber spätestens im folgenden Jahr brauche es endlich eine Lösung auf Bundesebene.

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