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Wenn die Kirchen übernehmen

In Flensburgs entsteht Schleswig-Holsteins drittgrößtes Krankenhaus. Zwei kirchliche Träger haben sich zu dem Großprojekt zusammengetan, und anfangs war der Jubel groß. Dann wurde bekannt, dass es im neuen Diako-Malteser-Klinikum keine Schwangerschaftsabbrüche aus sozialer Indikation geben wird. Seither versucht die Politik, eine Lösung zu finden

Von Esther Geißlinger

Feldlerchen waren die ersten Opfer des neuen Klinikbaus auf dem Peelwatt: Die Fläche in Flensburgs Südosten hatte lange brach gelegen, im kniehohen Gras brüteten die Vögel. Der BUND schlug Alarm, als im August 2019 die Bagger anrollten. Aber da waren die Verträge bereits unterschrieben, der Weg frei für das neue Diako-Malteser-Klinikum.

Der Neubau hilft der Stadt mit ihren rund 90.000 Ein­woh­ne­r*in­nen und den Nachbarkreisen aus einer Klemme: Bisher gab es zwei Krankenhäuser, aber beide sind sanierungsbedürftig. Die veralteten Krankenzimmer und unmodernen OP-Säle zu renovieren, wäre teurer geworden als der nun geplante Neubau, der laut einer Schätzung des Kieler Gesundheitsministeriums rund 230 Millionen Euro kosten wird und in dem künftig 100.000 Kranke pro Jahr behandelt werden sollen. „Wir bekommen das modernste Krankenhaus in Norddeutschland“, sagte Susanne Rode-Kuhlig, Ratsfrau der FDP in Flensburg.

Auch in anderer Hinsicht ist der Bau bemerkenswert: Erstmals schließen sich ein evangelischer und ein katholischer Träger, die evangelische Diako und das katholische St.-Franziskus-Hospital des Malteser-Ordens, zu einem solchen Projekt zusammen. Für zwei Kirchen, die – christlich hin oder her – noch über das ökumenische Abendmahl streiten, ein gewaltiger Schritt.

Dass es ein Problem mit den Abtreibungen gibt, erfuhr die Öffentlichkeit fast zufällig im Herbst 2019. Bei einer Pressekonferenz war das Thema zur Sprache gekommen, der Vertreter der katholischen Seite wies auf die Haltung seines Ordens zu Abtreibungen hin. Die evangelische Diako bietet zurzeit die Möglichkeit zu Schwangerschaftsabbrüchen aus sozialen Gründen. Aber „es ist in einer Partnerschaft notwendig, die Position des anderen zu akzeptieren“, sagte Diako-Vorstand Pastor Wolfgang Boten. Ein Problem für die Versorgung ungewollt Schwangerer sah er nicht: „Es ist kein Vorgang, der einer stationären Aufnahme bedarf.“

Generell stimmt das, denn ein Schwangerschaftsabbruch ist eine ambulante Maßnahme, die niedergelassene Praxen handhaben können. In den anderen westlichen Bundesländern findet der überwiegende Teil der Abbrüche dort statt, in Schleswig-Holstein aber nur zur Hälfte; 3.000 sind es insgesamt. In Flensburg kämen pro Jahr aber nur 20 von rund 200 ungewollt Schwangeren in die Diako, so der Pastor damals. In der Region gebe es genügend frauenärztliche Praxen, in denen die Schwangeren den Eingriff vornehmen lassen könnten.

Allerdings schrumpft deren Zahl: Jedes Jahr hören alte, in den 60er-Jahren politisierte Ärztinnen auf, und neue kommen nicht nach. Doris Scharrel, Vorsitzende des Landesverbandes der Frauenärzte, nennt als Gründe, dass jüngere Ärz­t*in­nen oft die Bürokratie und Genehmigungen scheuten. „Dabei braucht es für eine ambulante Operation gar nicht viel Ausrüstung“, sagt sie.

Scharrel plädiert dafür, dass, wann immer möglich, medikamentös abgetrieben wird. Dieser Weg sei aus medizinischer Sicht der schonendste für die Frauen und am besten geeignet, später eine normale Schwangerschaft zu ermöglichen. Aber es fehle an Wissen und Erfahrung, auch weil im Studium das Thema nicht gelehrt werde.

Gegen die Haltung der kirchlichen Kliniken kam es in Flensburg und in Kiel zu Demonstrationen und Protesten. Der offen schwul lebende FDP-Gesundheitsminister Heiner Garg sagte, er könne die kirchliche Position und die dahinter stehende Sexualmoral nicht teilen, er selbst habe die Kirche ja auch verlassen. „Die Entscheidung hat uns kalt erwischt“, sagte Marret Bohn, Gesundheitspolitikerin der Grünen-Landtagsfraktion, bei einer Ausschusssitzung im Herbst 2019. „Aus frauenpolitischer Sicht ist das nicht akzeptabel.“

„Der Schlüssel liegt beim Bund, der durch die Abschaffung des Paragrafen 218 eine neue Grundlage schaffen könnte, damit Abbrüche nicht länger kriminalisiert sind“

Simone Lange, Oberbürgermeisterin Flensburg (SPD)

Ein Hauptkritikpunkt lautete, dass die kirchlichen Krankenhausträger Fördermillionen des Landes kassierten, aber nicht bereit seien, auf die Wünsche der Politik einzugehen. Doch daran scheint nicht zu rütteln zu sein: Vor wenigen Tagen lehnte der Petitionsausschuss des Landtags eine entsprechende Forderung ab.

Dafür tauchte eine scheinbar einfache Lösung auf: Die Stadt könnte selbst ein Angebot schaffen. Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) schlug ein Gebäude auf dem Klinikgelände vor, in das Frauen für einen Eingriff gehen könnten. Rechtlich organisiert werden könnte dieses Angebot als kommunales medizinisches Versorgungszentrum, denkbar wäre auch eine Anbindung an das Gesundheitsamt. Um die Einzelheiten zu klären, richtete die Stadt einen Arbeitskreis ein.

Der aber tagte bisher kaum: „Corona hat die Luft rausgenommen“, sagt Verena Balve, die Flensburger Gleichstellungsbeauftragte. Sie gehörte dem runden Tisch an und ist jetzt auch Mitglied des „Umsetzungsgremiums“, das den runden Tisch abgelöst hat.

Der Zeitdruck wächst, denn auch wenn es noch Jahre dauern wird, bis das neue Klinikum eröffnet, fusionieren die beiden Häuser rechtlich bereits 2023. Dann würde die Diako keine Abtreibungen mehr vornehmen – eine Ausnahme gilt nur für medizinisch notwendige Eingriffe. „Ich vermisse einen Plan, wie es dann weitergeht“, sagt Utta Weißing, Gleichstellungsbeauftragte der Nachbargemeinde Harrislee.

Den genauen Plan hat zurzeit niemand. Die Ratsfraktion der Linken bezeichnete die Idee einer „Klinik für Schwangerschaftsbrüche in eigener Regie“ als eine „ Fantasie“. Sie würde am liebsten die Trägerschaft des Krankenhauses erneut infrage stellen – doch diesen Weg werden die anderen Parteien nicht mitgehen.

Dass eine Kommune selbst Ärz­t*in­nen anstellt, ist nicht so ungewöhnlich. Gerade in Schleswig-Holstein gibt es gute Erfahrungen mit kommunalen medizinischen Versorgungszentren, also Arztpraxen in Trägerschaft der Gemeinde.

Doch ganz einfach sei es nie, so eine Konstruktion auf die Beine zu stellen, sagt Svante Gehring. Der Mediziner ist Vorstandsvorsitzender der Ärztegenossenschaft Nord, die mehreren Kommunen bei der Gründung solcher Versorgungszentren unterstützt hat. „Ich kann sagen, dass es immer einen Vorlauf von eineinhalb bis zwei Jahren braucht, selbst wenn alle Beteiligten sich einig sind. Wenn es Gegenwind gibt, dauert es länger.“

Es wird also eng bis 2023. Aber über rechtliche Detailfragen habe sich das Umsetzungsgremium noch keine Gedanken gemacht, sagt die Gleichstellungsbeauftragte Verena Balve. Es gehe zunächst um Grundsätzliches: „Netzwerke knüpfen, Ak­teu­r*in­nen ausmachen, Frauen befragen, was sie sich wünschen.“ Ihr sei es wichtig, den Frauen Wahlfreiheit zu bieten, entweder in einer Klinik oder in einer Praxis abzutreiben.

Balve wünsche sich ein Haus, in dem zahlreiche Angebote rund um Schwangerschaft, Familienplanung, Geburt versammelt seien. So ein „Haus auf dem Gesundheitscampus ist meine Vision“.

Die Gleichstellungsbeauftragten und der Landesfrauenrat haben an die Landesregierung appelliert, flächendeckende Angebote zu schaffen. Doch Oberbürgermeisterin Simone Lange will die Verantwortung nicht abschieben: „Wir diskutieren alles, was man kommunal denken und tun kann.“

Das Problem: Allzu viel ist das nicht. „Der Schlüssel liegt beim Bund, der durch die Abschaffung des Paragrafen 218 eine neue Grundlage schaffen könnte, damit Abbrüche nicht länger kriminalisiert sind“, sagt Lange. Dann – so ihre Hoffnung – könnten Krankenhäuser sich nicht länger weigern, die Eingriffe vorzunehmen. „Das würde uns als Kommune unheimlich helfen.“

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