„Eine Frau berichtete, sie habe viel Scham erlebt“

Jördis Zill erforscht am Universitätsklinikum Eppendorf die Hilfsangebote für Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind. Die Betroffenen erfahren die Situation oft als unübersichtlich und kompliziert

Beim Internationalen Frauentag 2019 in Berlin ging es vor allem um den Paragrafen 219a, der die Weitergabe von konkreten Informationen zum Abbruch unter Strafe stellt Foto: Stefan Boness/imago

Interview Eiken Bruhn

taz: Frau Zill, Sie leiten ein Forschungsprojekt, das Umstände untersucht, unter denen Frauen in Deutschland eine Schwangerschaft abbrechen. Können Sie etwas dazu sagen?

Jördis Zill: Unser Projekt Care Preg ist vorrangig auf die Versorgungssituation im Norden Deutschlands konzentriert. Das Forschungsvorhaben hat aber gerade erst begonnen, somit gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch keine verlässlichen, wissenschaftlich basierten Ergebnisse. Ich kann aber beschreiben, was wir in ersten Gesprächen an relevanten Aspekten gesammelt haben, die wir im weiteren Studienverlauf vertiefen werden.

Was genau untersuchen Sie?

Unsere Forschungsgruppe beschäftigt sich mit Fragestellungen rund um das Thema Pa­ti­en­t:in­nen­zen­trie­rung im Gesundheitswesen. In diesem Rahmen untersuchen wir auch die Bedarfe sowie die psychosoziale und medizinische Versorgungssituation von ungewollt Schwangeren in Deutschland.

Welche Aspekte sind in den Vorgesprächen zur Sprache gekommen?

Im Rahmen des Projektes tauschen wir uns als Forschungsgruppe regelmäßig mit einer kleinen Gruppe an Frauen aus, die in den vergangenen fünf Jahren eine ungewollte Schwangerschaft erlebt und entweder ausgetragen oder abgebrochen haben. Was sie verbindet, ist das Anliegen, dass sich die Versorgung verbessern soll, insbesondere die Informationsvermittlung. Einigkeit herrscht darüber, dass sie das Verfahren selbst als komplizierter empfunden haben, als sie es sich vorher vorgestellt haben.

Was haben die Frauen konkret erzählt?

Wir haben mit den Betroffenen über ihre unterschiedlichen Erlebnisse in der Versorgung gesprochen. Mein Eindruck aus den ersten Gesprächen ist, dass vor allem der Zugang zur Versorgung und fehlende Informationen zum Ablauf Hindernisse für die Betroffenen darstellen. Ganz konkret nannte es eine Betroffene „einen Ritt“, bis sie die richtigen Informationen hatte. Sie habe nur eine Liste mit wenigen Ärzt:innen, die Abbrüche durchführen, bekommen und habe erst selbst herausfinden müssen, welche Möglichkeiten des Abbruchs es gibt und welche für sie die passende sein würde. Eine Frau berichtete auch, dass sie im Prozess viel Scham erlebt habe. Sie habe es vor allem als schwierig empfunden, weil sie den Abbruch nicht bei ihrer vertrauten Ärztin durchführen lassen konnte.

Zusammengefasst heißt das, es ist kompliziert, und das in einer Situation, in der es darum gehen sollte, die Schwangerschaft zum frühestmöglichen Zeitpunkt abzubrechen, auch weil die medizinischen Risiken dann niedriger sind?

Foto: privat

Jördis Zill

35, Psychologin und psychologische Psychotherapeutin, leitet am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf das Forschungsprojekt „Betroffenenzentrierung von Versorgungs- und Unterstützungsangeboten für Frauen mit ungewollter Schwangerschaft“.

Ja. Es wurden aber auch positive Aspekte hervorgehoben. Die Personen aus unserer Gruppe haben sich alle offen beraten gefühlt. Urteilsfreiheit war ein Stichwort, das mehrere als Voraussetzung dafür nannten, alles gut verarbeiten zu können.

Gab es auch positive Rückmeldungen zur medizinischen Behandlung?

Ja, es gab den Bericht einer Betroffenen, die sich von einer Praxis-Mitarbeiterin in der Abbruchsituation getröstet sowie emphatisch und einfühlsam begleitet gefühlt hat.

Inwiefern war die Pandemie Thema?

Hier wurde insbesondere die Möglichkeit der Online-Beratung als positiv empfunden, vor allem von denjenigen, die sonst weite Wege zur nächsten Beratungsstelle gehabt hätten oder zeitnah keinen Termin bekommen hätten. Einige mussten wegen der Pandemie-Situation jedoch allein und ohne Unterstützung von Bezugspersonen in die Praxis oder Klinik gehen, was sie als schwierig empfunden haben.

Sie haben auch mit Gy­nä­ko­lo­g:in­nen und Be­ra­te­r:in­nen gesprochen, oder?

Themen der Gy­nä­ko­lo­g:in­nen waren die mangelnden Inhalte zu Schwangerschaftsabbrüchen in der Facharztausbildung sowie die fehlenden Möglichkeiten aufgrund der Gesetzeslage, die Betroffenen gut zu informieren. Im direkten Umgang mit den Patientinnen betonten alle die Bedeutung, sich individuell auf die Frauen einzustellen. Das beginne damit, schon beim ersten Kontakt zu fragen, ob es eine gute oder eine schlechte Nachricht für die Frau sei, schwanger zu sein, und in der weiteren Behandlung zu erfragen, ob die Frauen den Embryo auf dem Ultraschall sehen wollen. Einige wollen sogar ein Bild mitnehmen, andere sagen: Bloß nicht!

Der Woman’s March 2019 vor dem Brandenburger Tor Foto: Stefan Boness/imago

Und die Berater*innen?

Auch von ihnen wurde die Wichtigkeit betont, die Betroffenen in ihrer ganz persönlichen Situation, ihrem Umfeld und ihren familiären und kulturellen Hintergründen zu sehen. Ein wiederkehrendes Thema sei, dass viele denken, sie müssten sich der Be­ra­te­r:in gegenüber rechtfertigen.

Ist das Projekt eigentlich für Sie ein Forschungsvorhaben wie jedes andere?

Die gesellschaftlichen und politischen Spannungen um das Thema Schwangerschaftsabbruch sind in unserem Team sehr präsent. Aber gerade aus diesem Grund ist uns das Projekt ein Anliegen und wir möchten hier gerne in Zukunft mit fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu der Debatte beitragen.

Das UKE sucht für anonyme telefonische Interviews volljährige Teilnehmende, die in den letzten fünf Jahren eine ungewollte oder ungeplante Schwangerschaft erlebt haben, die sie abgebrochen oder ausgetragen haben. Kontakt: j.zill@uke.de oder ☎040-74 10–598 93.