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Buntes Naschwerk der Postmoderne

Eine breit angelegte Ausstellung zur Architektur der 1980er Jahre in der Berlinischen Galerie macht einen angesichts des vielen Zuckerwerks der Postmoderne schwindelig

Von Martin Kieren

Die Berlinische Galerie lädt wieder ein zu einer Ausstellung. Der Untertitel kommt eher unaufgeregt daher: „Berliner Architekturen der 1980er Jahre“, und man denkt gleich an eine Pflichtübung. Eine weitere Dekade des Planens und Bauens wird in dem für die Architektur zuständigen Berliner Museum abgehakt. Der Schlüssel aber ist der Titel der Ausstellung, denn sie ist mit dem Etikett „Anything goes?“ versehen, wobei – das macht der erste Rundgang schnell klar – das Fragezeichen im Prinzip überflüssig ist. Ja, anything goes, alles ging.

Man benötigt Zeit für den Parcours durch die als Enfilade angeordneten Räume. Mittig aufgestellte Tische sind dicht bepackt mit Modellen, und an den Wänden hängen in linearer Reihung Pläne, Zeichnungen, Fotografien. Schließlich erreicht man den Raum, in dem, als Petersburger Salonhängung, zum Besuch eingeladen wird in Wohnungen der 80er Jahre, kuratiert von dem Berliner Künstlerkollektiv „Guerilla Architects“: eine wilde Mischung aus Einblicken in Privatsphären, von denen man nicht weiß, warum ausgerechnet sie hier gestrandet sind. Eine Form von zeitgenössischem Voyeurismus, dessen intellektueller Mehrwert oder Erkenntnisgewinn sich nicht erschließt; nach dem Motto: „So genau wollte ich das gar nicht wissen.“

Der „Salon“, den man in der Ausstellung aufsucht und durchwandert, ist die Stadt Berlin in den 1980er Jahren. Die Stadt Berlin mit ihrer Heterogenität und Unaufgeräumtheit, ihrem Schmutz und Plunder und ihren schroffen Wechseln aus angenagter Altbausubstanz und ‚Alles so schön bunt hier‘-Mentalität. Immer wieder sind es auch die sicht- und spürbaren Brüche und Gegensätze in Ostberlin und Westberlin, denen man begegnet: irgendwie etwas muffig, abgestanden, falb, vergilbte Tristesse. Denn die Ausstellung nimmt beide Hälften der Stadt ins Visier, sowohl was die jeweiligen Neubau- als auch was die Sanierungsstrategien betrifft.

Man muss sich in Erinnerung rufen, dass am Ende der 70er Jahre als Reaktion und Antwort auf die Düttmann-Ära im Westen der Stadt eine Idee geboren wurde, die folgenreich sein sollte: die Internationale Bauausstellung (IBA), in deren Verlauf sich einige der immer wieder gleich zu „Stararchitekten“ erklärten Vertreter der Architekturszene auf dem Berliner Parkett einfanden und somit in dieser Ausstellung vertreten sind. 1984 war das erste Berichtsjahr der IBA: Es war das Vorspiel gleichsam zu dem, was nach dem Mauerfall passierte. Die sogenannte Neubau-IBA leitete Josef Paul Kleihues, die Altbau-IBA Hardt-Waltherr Hämer. In beiden Fällen wurden gezielte Operationen in bislang verwaisten Quartieren vorgenommen. Hiervon handelt diese sehr in die Breite gehende Ausstellung – leider ohne eine in die Tiefe gehende Kontextualisierung der Problemfelder.

Das Allgemeine und das Besondere

Architektur nannte man bis vor hundert Jahren auch Baukunst. Die Kunst bestand darin, in dem, was man plant, entwirft und baut, etwas Allgemeines abzubilden, etwas, zu dem jeder Zugang findet: geistig, kulturell und, dies vor allem, auf der Ebene des Visuellen. Paul Valéry schrieb vor hundert Jahren „Was mit nichts eine Ähnlichkeit hat, das kann nicht erkannt werden.“ Er schrieb dies unter dem sichtbaren Eindruck des auf seine Zeit wirkenden Einbruchs dieses Neuen, eben auch in der Architektur.

Wer allerdings begehbare Coffeetable-Books liebt, ist hier gut aufgehoben

Das Allgemeine wich vielerorts dem Besonderen, womit die die Städte grundierende Homogenität verloren ging. Zum Teil strotzen die in der Ausstellung zu sehenden Neubauten von diesem Besonderen – in dem sichtbaren Bemühen, eben nicht das Allgemeine abzubilden, etwas, das mit dem Vorhandenen eine Ähnlichkeit aufweist. Sie wirkt wie ein großes begehbares Bilderbuch – von zum Teil abenteuerlichen Entwürfen.

Dieses Besondere schien viele Architekten anzutreiben: Eine Originalitätswut, die im Kontext der bestehenden Stadt oftmals vorlaut wirkt, überbunt, schräg, unnötig, eitel und manchmal peinlich. Vieles altert daher auch nicht schön. Vor manchen Entwürfen beschleicht einen das Gefühl, dass beim Entwerfen Drogen im Spiel gewesen sein müssen, welcher Art auch immer. Die daraus erwachsene räumliche und visuelle Kakofonie rührt zudem daher, dass zu viele Labore sich in Experimenten verloren, die an Kontextualisierung nicht interessiert waren, obwohl es in der Neubau-IBA ja um „Kritische Rekonstruktion“ ging und in der Altbau-IBA um „Behutsame Stadterneuerung“.

Die IBA galt doch gerade als Versuch, einen Steuerungsmechanismus zu installieren, der programmatisch dem Planen und Bauen eine Idee diesseits des „Anything goes“ vorschaltet, eine, die auf Identität setzt, auf die Rückgewinnung des Städtischen und seiner Qualitäten als Reaktion auf die Desurbanisierung und Altbausubstanzzerstörung und die damit einhergehende Abschiebung der Bevölkerung in die großen Stadtrandsiedlungen während der Ägide Düttmann.

Ja, ein Parcours der Experimente (was im Prinzip immer gut ist), aber man wünschte sich, dass manche dieser Ergebnisse aus diesen privaten Laboren dort verblieben und eben nicht gebaut worden wären, sondern lediglich den jahrhundertealten und endlos wuchernden Ideenpool bereichert hätten, der in dem schönen und ehrenvollen Album endet: „Architektur, die nie gebaut wurde“.

Es ist ein bisschen wie Karussell fahren, es wird einem schwindelig, der Magen rebelliert: Der postmodernen Torten nämlich ist man schnell überdrüssig und es verlangt einen nach einem Stück Schwarzbrot, vielleicht ein Stück Butter drauf und eine Prise Salz.

Es mangelte diesen Jahren an einer strukturellen und visuellen Grundierung, was reine Vielfalt an sich eben nicht leisten kann, und es fehlte an der Erkenntnis des Gebots des morphologischen Weiterbauens. „Baust Du einen Weg, ein Haus, ein Quartier, dann denke an die Stadt!“, schrieb einst der Schweizer Architekt Luigi Snozzi.

Die vielen privaten Hieroglyphen und Einfälle bilden leider kein Ganzes, sie kommen selten zueinander. Die Variation und Wiederholung des Bekannten ist längerfristig immer stadtverträglicher als die ständige Missachtung der von Mies van der Rohe formulierten Maxime, dass es „weder notwendig noch möglich ist, jeden Montagmorgen eine neue Architektur zu erfinden“, was aber die Architektinnen und Architekten trotz ihrer Potenziale meist ignorieren; und dies leider nicht nur an Montagen, sondern sieben Tage in der Woche.

Aber es ist auch Rückschau: Im Osten ist es Prenzlauer Berg, im Westen Kreuzberg, was die Sanierung, die „Stadterneuerung“ betrifft. Im Osten rückt ferner Marzahn in den Fokus; und die spannende Diskussion darüber, wie man „die Platte“ ästhetisch aufladen und aktivieren und „hübscher“ gestalten kann: mit einer ihr applizierten Ornamentik entlang der unschönen Fugen dieser Platte. Die Beispiele gerade der Bauten in der Friedrichstraße und am Gendarmenmarkt lohnen es, in Augenschein genommen zu werden, denn auch in unserer Gegenwart wird ja wieder mächtig gesimst (nicht von SMS, sondern von Gesims!) und profiliert, gestuckt, gesäult und ziseliert.

Fazit: Ja, informativ, das betrifft vor allem die Katalogbeiträge. Weniger aber wäre mehr gewesen. In der Summe gibt es, wie gesagt, zu wenig Kontextualisierung, es fehlt ein Faden; man setzt auf Masse, zu viel buntes Naschwerk, irgendwann ermüdend – wer allerdings begehbare Coffeetable-Books liebt, ist hier gut aufgehoben.

Anything goes? Bis 16. August, Berlinische Galerie. Katalog hrsg. von Thomas Köhler und Ursula Müller, 232 Seiten, 29,80 Euro. Audioguides zu Stadt­spaziergängen können kostenlos heruntergeladen werden.

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