Kunst für einen besseren Staat

Sybille Springers diskrete Politik wird die Abgeordneten des künftigen Deutschen Bundestags beeinflussen: Die Parlaments-Sammlung hat ihr Bild „Still Blue“ erworben. Das freut auch ihren Galeristen Radek Krolczyk

Schon jetzt in den Bundestag gewählt: „Still Blue“ Foto: Abb: Sybille Springer/Galerie K'

Von Benno Schirrmeister

Warum die Noch-Bremer Künstlerin Sybille Springer so gut ist, darüber lassen sich jetzt schon dicke Kataloge schreiben. Jetzt hat die besondere Eigenart ihrer Malerei auch die Jury des Deutschen Bundestags überzeugt: Auf Vorschlag der Bremer Abgeordneten Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) und promotet von Doris Achelwilm (Die Linke) hat sie entschieden, das Werk „Still Blue“ anzukaufen. „Sybille Springer ist die erste Künstlerin, die ich in dieser speziellen Sammlung untergebracht habe“, sagt Galerist und taz-Autor Radek Krolczyk.

Speziell ist die Sammlung einerseits durch die Art der Auswahl: Es ist keine Fachjury, wie bei institutionellen Sammlungen, an die der Inhaber der Galerie K' im Viertel viele Arbeiten vermittelt. Stattdessen setzt sie sich nach Fraktionsproporz aus Abgeordneten zusammen. Andererseits ist das Publikum ein besonderes: die Werke werden im Reichtsagsgebäude aufgehängt. Im Wesentlichen werden also Abgeordnete mit ihnen konfrontiert – und ihren politischen Inhalten.

In Springers Kunst lassen die sich besonders gut entziffern. Schon als sie vor ein paar Jahren Meisterschülerin bei Karin Kneffel an der Hochschule für Künste war, arbeitete sie konsequent mit kunsthistorischen Reprisen. Auch in „Still Blue“ bildet ein Blumenstillleben vom Ende der goldenen Zeit der niederländischen Malerei den Bildgegenstand. Diese ausdrückliche Bezugnahme auf Tradition aber beschädigt sie, durch Übermalung, Abreibungen, Verletzungen der Oberfläche.„Diese Arbeiten lassen immer viele Lesarten zu“, erläutert Krolczyk. „Wer will, kann auch sagen, das ist ein kaputtes Bild.“

In der Irritation der Oberfläche teilt sich auch den unbelecktesten Be­trach­te­r*in­nen eine Spannung ihres gegenwärtigen Blicks auf die Geschichte mit, eine Distanzierung von ihr. Um diesen kritischen Impuls aufzunehmen, müssen sie weder ahnen, dass die Vorlage von Margareta Haverman (1693–1739) stammt – einer der Barock-Malerinnen, deren Existenz spätere Jahrhunderte verleugnet haben, weil sie Frauen waren. Sie brauchen nicht die Toxizität der Pflanzenteile zu kennen und ihren Einsatz als Rauschmittel – Thema, das Springers aktuelle Solo-Schau „pharma phlora“ in der K'-Galerie ganz explizit bearbeitet. Noch müssen die Be­trach­te­r*in­nen begreifen, dass die Blütenpracht des Tableaus Blumen, Pflanzen und Fruchtstände in einem Blick fürs Auge zusammendrängt, die simultan in der Natur nicht vorkommen – es sei denn die Geografie kollabiert: Von Tasmanien bis ins heutige New York erstreckte sich der Machtbereich der Niederlande. Ohne Kolonialismus ist das Ursprungsgemälde undenkbar.

Unaufdringlich teilen sich all diese Sinndimensionen, Schicht für Schicht, mit. Die Komplexität wächst beim Schauen, die Konflikte treten in Erscheinung – und werden ausgetragen. Direkt. Kunst entfaltet so gesehen ihre Schönheit als physisch erfahrbare Kritik. Nichts passt besser in ein Parlament.

„pharma phlora“ in der Galerie K', Alexanderstraße 9, bis 11. Juli