piwik no script img

Wo bleibt die Romanze zur Plage?

Vom Unglück der Trennung nach jahrelanger Beziehung, schicksalhaften Begegnungen, konservativer Zweisamkeit und dem Urgrunddes Schreibens: Ein kleiner Überblick über belletristische Neuerscheinungen zum Thema Liebe im zweiten Jahr der Pandemie

Von René Hamann

Nein, „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ hatte kein Comeback im Frühling 2020. Die schöne Liebesgeschichte, die sich darum dreht, dass die männliche Hauptfigur Florentino ein Leben lang warten muss, bis er sich endlich an seine große Liebe Fermina heranmachen kann, und die damit endet, dass das Hochzeitspaar auf einem Schiff die gelbe Fahne hisst, die für Quarantäne wegen Cholera steht, um für den Rest des Lebens ungestört zu sein, stieg in den Bestsellerlisten nicht wieder auf die vorderen Plätze.

Die Leute wollten lieber den „Boccaccio“ aus Renaissance-Zeiten lesen oder „Die Pest“ von Albert Camus. Auch keine schlechten Bücher, aber eben nicht so romantisch wie der Schmöker von Gabriel García Márquez.

Der aktuelle romantische Schmöker zur Plage ist indes auch noch nicht erschienen. Die Liebe unter den veränderten Vorzeichen, unter den Lasten von Homeschooling, Quarantäne, Homeoffice, Social Distancing und wie die neusprachlichen Begriffe alle so hießen, ist noch weithin unerforscht. Wir schauen trotzdem mal, was in Sachen Liebe so an guter Literatur erschienen ist.

Die Schauspielerin Anna Brüggemann zum Beispiel hat sich gleich der Kehrseite der Liebe gewidmet, dem Unglück der Trennung nämlich. Ihr „Trennungsroman“ erzählt von Eva und Thomas, die sich nach acht Jahren Beziehung entscheidend voneinander entfernen. Die Grundidee ist gut: Die Geschichte einer „scheiternden“ Beziehung wie einen Countdown herunterzuerzählen, wie bei Sophie Calles Kunstprojekt „92 Days to Unhappiness“. Deren Leitsatz „The worse the break-up, the better the art“, gilt für Brüggemanns Debüt leider nicht immer, denn es ist in recht einfacher Sprache gehalten und sozialpsychologisch zuweilen etwas naiv.

Wie die Schauspielerin es geschafft hat, im Spiegel eine lobende Besprechung zu ergattern? Es wird sicher nichts mit ihrem Namen zu tun zu haben (ihren Bruder, der einer der Macher hinter #allesdichtmachen war, klammern wir hier mal ganz aus). Man lernt aber trotzdem viel, zum Beispiel wie die (zerfallende) Liebe in der (oberen) Mittelschicht aussieht.

Ein ganz anderes Niveau hat, man ist geneigt zu schreiben: natürlich, der Roman des Berliner Schriftstellers Ulrich Peltzer, „Das bist du“. Peltzer, Jahrgang 1956, erzählt auch eine traurige Liebesgeschichte, traurig für den Erzähler, der sich hier autobiografisch in einer ganz anderen Zeit verortet, nämlich dem kalten und coolen West-Berlin der achtziger Jahre. Die Geliebte, die Muse des Erzählers heißt Leonore, Leo-No-Re, wie er an einer Stelle sagt. Eine für den Doktoranden und jungen Erzähler schicksalhafte Begegnung, mit einem Twist und einem Bruch in der Mitte. Sie lässt sich nämlich auf ihn ein, beginnt eine Beziehung, bis sie einen neuen Job findet und etwas mit ihrem Chef hat. So profan kann es manchmal sein.

Die Liebe, die im Mittelpunkt des Denkens und Fühlens des heranreifenden Intellektuellen, Psychologie-Doktoranden, aufstrebenden Schriftstellers steht, wobei, eindeutig mehr des Fühlens als des Denkens, ist also eine recht gewöhnliche: Frau trifft Mann, ein coup de foudre, dann gemeinschaftliche Zeit mit Sollbruchstelle. Für den Erzähler bildet diese hintenraus unglückliche Liebe den Urgrund allen Schreibens, sie ist die Adressatin von allem.

Patrick Modiano, Literaturnobelpreisträger von 2015, verhandelt das mit der Liebe noch mal anders. Sein neuester Roman, „Unsichtbare Tinte“ genannt, spielt allerdings auch „in einem anderen Jahrhundert“. Man könnte den Roman zunächst für einen Krimi halten, denn er handelt von einer verschwundenen weiblichen Person, und der Erzähler, der sich Jean nennt, soll als Gehilfe einer Privatdetektei ihre Fährte aufnehmen. Er findet ein bisschen heraus, fängt einen Brief ab, trifft sich mit einem Bekannten der Dame, entpuppt sich aber schnell als schlechter, weil seltsam demotivierter Detektiv, der sich auch lieber ausufernd mit philosophischen Fragen nach Gedächtnis, Erinnerung und Zeit beschäftigt.

Die verschwundene Frau kommt aus den französischen Alpen, wie der Erzähler, und aus einfachen Verhältnissen. Sie heißt Noëlle Lefebvre, hat einen Ex-Ehemann, mit dem sie nach Rom geht, und einen zwielichtigen Freund, den sie links liegen lässt. Wer sie wirklich ist, bleibt offen, genau wie die Spuren, die ins Zwielicht führen, nicht wirklich aufgeklärt werden; am Ende ist aus dem Krimi eine Liebesgeschichte geworden, die Liebesgeschichte zwischen einem Gespenst und einem bequemen Detektiv.

Leid und Liebe

Anna Brüggemann: Trennungsroman. 416 Seiten, Ullstein 2021, 20 EUR

Ulrich Peltzer: Das bist du. 288 Seiten, Fischer 2021, 22 Euro

Patrick Modiano: Unsichtbare Tinte. 144 Seiten, Hanser 2021, 19 Euro

Sally Rooney: Gespräche unter Freunden. 400 Seiten, Btb Taschenbuch 2020, 11 Euro

Projekt „Lockdown Love Stories“ von Philippa Found: www.lockdownlovestories.com/stories

Kommen wir zu Sally Rooney, die wieder anders arbeitet, unterhaltsamer, dichter am Stoff. Insofern bildet die junge Irin, Jahrgang 1991, ungefähr die Mitte zwischen Brüggemann und Peltzer. Die beiden Bücher, die sie veröffentlicht hat, sind Bestseller geworden; schlecht geschrieben sind sie nicht. Im Gegenteil, Rooney hat ein feines Gespür für Körperlichkeiten, für Stimmungen, die sich psychosomatisch ausdrücken. Um die Liebe geht es freilich auch: In „Gespräche mit Freunden“, ihrem ersten Roman, verliebt sich eine junge Dichterin in einen etwas älteren Schauspieler, der indes schon verheiratet ist.

Auch wenn das ganze Konzept – besonders seitens der Dichterin – von Liebe hier mehr Fragen aufwirft, als dass es logische Antworten hätte: Nachspürbar, einfühlsam wird es doch. Rooney gilt zudem als Marxistin, was sie durch genaue Beschreibung sozialer Ungleichheiten auch spüren lässt. Das Konzept der Liebe, das sie verfolgt, ist hingegen vielleicht sogar etwas konservativ – womit sie andererseits wiederum im Trend der Zeit liegt.

Mit Corona hat das natürlich alles nichts zu tun. Man muss sich vermutlich noch etwas gedulden, um Geschichten um heimliche Treffen während der Ausgangssperre, um den Kitzel und die Angst vor Ansteckung, die Sehnsucht in der Einsamkeit und das Daten mit digitalem und sozialem Abstand in wahnsinnig guten Geschichten geschrieben zu sehen.

Im angelsächsischen Raum ist man da schon einen Schritt weiter: Zumindest skurril ist etwa der unter dem Pseudonym M. J. Edwards veröffentlichte Roman „Kissing the Coronavirus“, in dem sich ein Wissenschaftler in den Virus verguckt statt ihn zu bekämpfen. Etwas lebensnäher ist das Projekt „Lockdown Love Stories“ der britischen Künstlerin Philippa Found. Auf ihrer Webseite können Menschen anonym ihre Corona-Liebesgeschichten posten. Einer erzählt etwa davon, wie er während der Pandemie in London seine Wohnung verlor, weil der Eigentümer sich (coronabedingt?) von seiner Frau geschieden hatte. Doch er fand ein Zimmer – und verliebte sich in seine neue Mitbewohnerin. „Es kam zum Lockdown 2.0, wir saßen zu Hause fest, verbrachten rund um die Uhr zusammen und liebten jede Minute davon.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen