: Zeugnis der Willkür
Im Zuge der Pandemie ist die Pressefreiheit in vielen Teilen der Welt Angriffen ausgesetzt. Zum heutigen Internationalen Tag der Pressefreiheit erscheint die 27. Edition „Fotobuch der Pressefreiheit“ von Reporter ohne Grenzen mit einem Schwerpunkt auf den Protesten in Belarus
Von Erica Zingher
Die Menschen in Belarus erleben seit Monaten, was staatliche Willkür bedeutet. Zu jeder Zeit können Männer in Zivil aus Autos mit getönten Scheiben steigen und Passant:innen gewaltsam von der Straße ziehen, in den Wagen zerren und ins Gefängnis stecken. Aktivist:innen, Musiker:innen, Ärzt:innen, Student:innen, Journalist:innen – es kann jede:n treffen.
Für Journalist:innen ist die Situation besonders gefährlich. Sie riskieren ihr Leben jeden Tag: wenn sie von Demonstrationen berichten, wenn sie auf dem Weg zur Arbeit sind, und selbst in ihrer eigenen Wohnung sind sie nicht sicher.
Die belarussische Menschenrechtsorganisation Wjasna zählt derzeit 360 politische Gefangene im Land. Darunter sind zahlreiche Journalist:innen. Katerina Borisewitsch ist eine von ihnen. Vor fünf Monaten wurde sie, die für das unabhängige Onlinemedium tut.by arbeitet, auf der Straße von Männern in Zivil festgenommen. Man brachte sie nach Hause, durchsuchte ihre Wohnung und steckte sie ins Untersuchungsgefängnis des KGB. Ihre minderjährige Tochter ließ man alleine in der Wohnung zurück.
Der Vorwurf gegen Borisewitsch lautete „Verletzung des Arztgeheimnisses“. Doch die Journalistin hatte nur ihren Job gemacht. Sie hatte die Wahrheit über den getöteten 31-jährigen Roman Bondarenko aufgedeckt, der im November vergangenen Jahres auf dem Platz des Wandels (Ploschtscha Peramen) von staatlichen Schlägern verschleppt und zu Tode geprügelt wurde. Machthaber Lukaschenko behauptete, Bondarenko sei zum Zeitpunkt seines Todes betrunken gewesen. Doch Borisewitsch widerlegte das und veröffentlichte den Untersuchungsbericht von Bondarenko. Dafür hat man sie zu sechs Monaten Haft verurteilt. Vor ihrer Verhandlung im Februar sagte Borisewitsch: „Das erste Mal werde ich nicht als Journalistin im Gericht sein, sondern hinter Gittern.“
Dieses Vorgehen gegen Journalist:innen hat System in Belarus. Tag um Tag, Woche um Woche werden lokale und auch internationale Journalist:innen bedroht, verschleppt und festgenommen, Redaktionen durchsucht.
Wenn Journalist:innen derzeit das Haus verlassen, dann sind sie vorbereitet. Für den Fall, dass sie verhaftet werden. Belarussiche Kolleg:innen berichten, dass sie sich die Nummer ihres Anwalts auf den Arm schreiben und eine Tasche mit sich führen. Darin: Zahnbürste, Medikamente und Wechselkleidung. Mitten in Europa ist das Alltag geworden.
Zum 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, erscheint ein Fotobuch von Reporter ohne Grenzen, das die Arbeit von Journalist:innen würdigt. In diesem Jahr liegt der Fokus unter anderem auf den Protesten in Belarus, wo seit den gefälschten Präsidentschaftswahlen im Sommer Zehntausende auf die Straßen gegangen sind.
Niemand weiß, wie der Aufstand in Belarus ausgehen wird. In einem Interview mit Zeit Online sagte die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja kürzlich, Lukaschenko werde das Land in eine Art Nordkorea verwandeln. „Er wird die Grenzen schließen und eine Mauer um das Land bauen. Wer kann das wollen?“
„Fotos für die Pressefreiheit“, 27. Edition, erhältlich im Onlineshop von Reporter ohne Grenzen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen