: Auf Virensuche in der Kanalisation
Die Wasserbetriebe entwickeln ein System von Probenentnahmen – als eine Art Pandemievorhersagetool
Von Claudius Prößer
Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) leisten in der Pandemie nützliche Detektivarbeit: Das landeseigene Unternehmen lässt Abwasserproben von Laboren auf Spuren des Coronavirus untersuchen, wie Vorstandschef Jörg Simon am Mittwoch auf der Jahresbilanz-Presskonferenz für 2020 mitteilte. Ziel ist die Entwicklung von „Vorhersagetools“, mit denen die Ausbreitung von Sars-CoV-2 schneller als durch die übliche Teststatistik prognostiziert werden kann.
Die BWB kooperieren dazu mit dem Umweltbundesamt, dem Umweltforschungszentrum (UFZ) in Leipzig und dem Berliner Max-Delbrück-Zentrum für molekulare Medizin sowie zwei privaten Laboren. Grundsätzlich wird bereits seit Beginn der Pandemie in diese Richtung geforscht: Vielversprechend ist das unter anderem, weil sich das Auftreten des Virus in der Bevölkerung so schneller erkennen lässt als durch alle Testaktivitäten: Denn auch symptomfrei Infizierte scheiden Viren aus.
Laut Simon hatten die Wasserbetriebe zuerst angefangen, Proben aus dem Klärwerk Ruhleben zu entnehmen, die dann gekühlt oder gefroren an die Labore geschickt wurden. Das Werk klärt die Hinterlassenschaften von rund 1,3 Millionen BerlinerInnen. Mittlerweile wird die Probenentnahme an 11 dem Klärwerk vorgeschalteten Pumpwerken durchgeführt. „Wir sind dabei, das weiter zu verfeinern, sodass die Proben Aufschluss über 10.000 oder 20.000 Einwohner geben“, so der Vorstandschef.
Am Ende sollen die Methoden so kalibriert sein, dass nicht nur das bloße Vorhandensein des Virus aus dem Abwasser „gelesen“ werden kann, sondern sich konkrete Rückschlüsse auf die Zahl infizierter Menschen ziehen lassen: laut Simon in vier Kategorien von 0 (Virus gar nicht vorhanden) bis 3 (hohe Virusberbreitung). Hinzu kommt, dass auch ein Monitoring von Virusvarianten möglich wird: So konnte auch die britische Coronavariante nachgewiesen werden.
Neukölln ist interessiert
„Im Moment finanzieren wir das selber“, sagte Simon auf Nachfrage der taz, „aber sobald wir belastbare Ergebnisse haben, werden wir auf die Senatsgesundheitsverwaltung zugehen und anfragen, ob dort Interesse besteht.“ Im Gespräch sei man bereits mit dem Bezirksamt Neukölln, das von sich aus auf die Wasserbetriebe zugekommen sei.
Insgesamt zog der BWB-Vorstand eine positive Bilanz des Geschäftsjahrs: Es habe trotz Pandemie keine Einschränkungen bei der Ver‐ und Entsorgung gegeben, die Preise seien konstant geblieben und sollen es auch bis 2023 bleiben. Das Niveau vor der Rekommunalisierung 2013, die mit Tarifsenkungen einherging, werde bei der Schmutzwasserentsorgung nach derzeitiger Planung erst 2026 wieder erreicht, beim Trinkwasser dauert es sogar noch länger.
Besonders betonten Simon und die Aufsichtratsvorsitzende, Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), dass die Wasserbetriebe hohe selbstfinanzierte Investitionen von rund 400 Millionen Euro getätigt hätten. Aus Pops Sicht ist das nicht nur wichtig für die regionale Wirtschaft in Pandemiezeiten, sondern trägt auch zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz bei.
Konkret fällt darunter zum Beispiel die Ausstattung aller Klärwerke mit zusätzlichen Reinigungsstufen bis 2027 gemäß der europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Auch in das „Gewässergüte-Bauprogramm“ habe man weiter investiert und sei nun „auf der Zielgeraden“: Von 300.000 Kubikmetern unterirdischem Stauraum seien mittlerweile 253.000 fertiggestellt. Dazu gehört eine riesige Röhre unter dem Mauerpark: Der im April 2020 in Betrieb genommene Stauraumkanal fasst 7.600 Kubikmeter und kann nach Starkregen sogenanntes Mischwasser zwischenspeichern. Zumindest bis zu einer gewissen Niederschlagsmenge verhindert das, dass die fäkalienhaltige Brühe in die Spree abgeleitet werden muss.
Laut Jörg Simon gibt es mittlerweile nicht mehr viele Flächen für solche Stauräume, zudem sei ihre Anlage teuer und durch das Verbauen großer Betonmengen nicht sonderlich umweltfreundlich. Man habe deshalb einen „Überstauatlas“ erarbeitet und suche neuartige Entlastungsmöglichkeiten. So ließen sich auch Sportplätze oder Grünflächen zur kurzzeitigen Rückhaltung von Regenwasser nutzen, erklärte Simon. „Da gibt es kreative Ideen, aber dafür brauchen wir auch Geld vom Land.“
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