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Viel grün, wenig nachhaltig

Gerade in Städten stehen immer mehr Pflanzen in den eigenen vier Wänden herum: „Urban Jungle“ ist ein boomender, aber ökologisch fragwürdiger Wohntrend. Denn die meisten Pflanzen haben einen langen Transportweg von anderen Kontinenten hinter sich

Von Hagen Gersie

Bunte Pflanzen in jeder Ecke der Wohnung: Nicht erst seit Beginn der Coronapandemie gibt es besonders in den Städten mit dem „Urban Jungle“ einen immer weiter wachsenden Wohntrend. Es ist die Bezeichnung für einen Raum, der von grünen Zimmerpflanzen übersät ist und in dem es wirkt, als befände man sich in einem Dschungel. Doch die Beachtung von nachhaltigem Konsum ist bei diesem Trend bislang kaum ein Thema. „Viele denken: Pflanzen sind natürlich und damit automatisch auch nachhaltig“, sagt Andrea Frankenberg, Expertin für Zier- und Topfpflanzen beim Verband Bioland. Doch bislang ist eher das Gegenteil der Fall.

Allein auf Instagram gibt es rund 6,3 Millionen Beiträge unter dem Hashtag #UrbanJungle. Doch nicht nur das zeigt, dass das Geschäft mit Zimmerpflanzen gegenwärtig rapide ansteigt: Während der Coronapandemie hat sich der ohnehin herrschende Boom am Markt für Zimmer- und Grünpflanzen noch verstärkt. Laut Zentralverband Gartenbau stieg der Umsatz aus Verkäufen von Zimmerpflanzen 2020 um sechs Prozent, der Umsatz aus Grünpflanzenverkäufen sogar um elf Prozent. Insgesamt haben Menschen in Deutschland voriges Jahr 1,6 Milliarden Euro für Zimmerpflanzen ausgegeben – das macht umgerechnet rund 19,40 Euro pro Person.

Die Motivation ist dabei ganz unterschiedlich: Wenn man sich nicht gleich einen Urban Jungle zu Hause einrichtet, hat man trotzdem wahrscheinlich zumindest einige Pflanzen daheim: sei es aufgrund des urbanen Mythos, dass Zimmerpflanzen das Raumklima verbesserten, sei es als Deko-Objekt oder einfach, um sich darin zu üben, ein Lebewesen zu pflegen, bevor man sich an die schwierigeren Herausforderungen Kind oder Haustier wagt.

Anders als bei Lebensmitteln finden Käu­fe­r:in­nen bei den für den privaten Gebrauch gekauften Pflanzen jedoch meistens nicht heraus, wo und wie sie produziert wurden. Klar ist: Viele der im lokalen Geschäft zu kaufenden Pflanzen kommen nicht aus Deutschland. Die Niederlande, Belgien, Spanien oder Länder wie Kenia und Tansania gehören zu den größten Produzenten von Zierpflanzen, die in Deutschland zu kaufen sind.

Die vielerorts anzutreffenden schlechten Produktionsbedingungen und lange Lieferwege tragen zu einem großen ökologischen Fußabdruck der Zimmerpflanze bei, die später im Wohnzimmer steht. „Das steht in starkem Kontrast zu ihrer grünen und organischen Natur“, sagt Frankenberg. Der Rückschluss, dass Blumen und Pflanzen aber automatisch unter ökologischen Gesichtspunkten grundsätzlich positiv zu sehen seien, sei deshalb falsch.

Denn es kommen vielfach chemisch-synthetische Pestizide und andere Mittel zum Einsatz, die umwelt- und gesundheitsschädlich sind und die in der Europäischen Union häufig gar nicht mehr erlaubt sind. „Auch ein Fair-Trade-Siegel sagt nur bedingt etwas über die Nachhaltigkeit aus“, sagt Frankenberg. Das Siegel bedeute vor allem Arbeitsschutz und faire Löhne, etwa dass Angestellte beim Spritzen von Pestiziden beispielsweise Schutzanzüge tragen. Eine zertifizierte Bio-Produktion gibt es, anders als bei Kakao und Kaffee, bei Blumen und Pflanzen noch nicht. Bei Pflanzen ohne Fair-Trade-Siegel könne es vorkommen, dass sogar solch grundlegender Arbeitsschutz fehlt.

Diese Aspekte sind aber nicht die einzigen, die zum ökologischen Fußabdruck von Zimmerpflanzen beitragen. Die Wahl der Pflanzenerde ist ebenso wichtig. Ist diese torfhaltig, ist sie nicht nachhaltig. Torf muss aus ökologisch wichtigen Mooren gestochen werden. Dabei gehen Lebensräume für viele Lebewesen verloren und CO2, das das Moor gespeichert hat, wird freigesetzt. Der Umweltverband BUND verweist darauf, dass Moore insgesamt etwa doppelt so viel Kohlenstoff speichern wie alle Wälder zusammen. Ein Großteil des in Deutschland verwendeten Torfs kommt aus dem Baltikum und Weißrussland. „Es dauert allein ein Jahr, dass ein Millimeter Torf wächst“, erklärt der BUND.

Doch Käu­fe­r:in­nen haben bislang wenig Möglichkeiten, nachhaltig Pflanzen zu kaufen: Trotz dieses gigantischen ökologischen Fußabdrucks gibt es keine wirklichen Anstrengungen, das Zimmerpflanzengeschäft nachhaltiger zu gestalten. Während im übergeordneten Zierpflanzenbereich einige Gärtnereien inzwischen nach offiziellen Bio-Richtlinien oder sogar nach noch strengeren Regularien produzieren, gibt es solche Ansätze für immergrüne Zimmerpflanzen nicht.

Herbert Vinken, Inhaber der Gärtnerei „herb’s“ in Dötlingen bei Bremen, sagt, dass die Grünpflanzen, die im Zimmer stehen, mit hohen und vor allem gleich bleibenden Temperaturen, wenig Wasser und einseitigem Licht auskommen müssten. „Diese Bedingungen kommen in der Natur sonst nur im unteren Vegetationsbereich in den Tropen vor“, sagt Vinken.

Nach wie vor würden Pflanzen wie die beliebte Monstera deshalb in Süd- und Nordamerika angezogen und als Stecklinge nach Europa geflogen. In Gewächshäusern in den Niederlanden würden die Stecklinge groß gezogen, sagt Vinken.

Die Pflanze, die man schließlich im Gartencenter kauft, habe dort meistens nur wenige Wochen verbracht. Eine Aufzucht in der Petrischale sei inzwischen ebenso gängig. „Um die langen Transportwege der Grünpflanzen einzusparen, müsste viel Strom mittels UV-Licht verbraucht werden, um die tropischen Gewächse im mitteleuropäischen Klima zu züchten“, sagt Vinken.

Auch Matthias Nieland, Inhaber des Blumenladens „Straussbar“ in St. Georg in Hamburg, weist auf die Schwierigkeit von Nachhaltigkeit bei Pflanzen und Blumen hin. Kun­d:in­nen wollten beispielsweise auch im Winter Rosen kaufen, die dann aus Ecuador oder Südafrika kämen. Die meisten Leute würden eben nach der Pflanze auswählen, nicht nach Nachhaltigkeitsaspekten. Nieland versucht dennoch, so viele regionale Pflanzen wie möglich im Sortiment zu haben und beispielsweise bei der Verpackung auf nachhaltiges Material zu setzen. Er setze auch nur auf Bio-Erde, in denen eine Pflanze eh besser wachse: „Aber die ist dann auch dreimal so teuer.“

Andrea Frankenberg glaubt, dass es vor allem an der mangelnden Aufklärung der Menschen liege, dass noch zu wenig Bio-Pflanzen nachgefragt werden. Vinken schlägt ein Label vor, das darüber Auskunft gibt, wo ein Pflanze herkommt und wie hoch der Ressourceneinsatz für Produktion und Transport gewesen ist. Auch sollte wieder mehr Regionalität und Saisonalität gewagt werden, gekoppelt mit ökologischen Anbaumethoden. Das bedeutet dann aber, dass Grünpflanzen hier kaum noch Verbreitung finden würden.

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