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„Man muss sich die Zeit nehmen zuzuhören“

In Bremens überdurchschnittlich von Corona betroffenen Stadtteilen gibt es seit März zusätzlich Sozialarbeiter*innen, sogenannte „Gesundheitsfachkräfte“. Sie sollen über Corona aufklären und die Menschen beraten

Foto: Bülent Aksakal

Bülent Aksakal 41, ist Sozialarbeiter in den Bremer Stadtteilen Gröpelingen und -Marßel

Protokoll Mahé Crüsemann

Josephine Kwarteng: Unsere Aufgabe ist es, Information nicht nur zu verbreiten, sondern auch zu vermitteln. Unser Fokus liegt dabei momentan auf Corona. Es ist wichtig, dass die Bewohner beispielsweise in Osterholz-Tenever, wo ich als Gesundheitsfachkraft arbeite, niedrigschwellig Information erhalten in einfacher Sprache, sodass die ganzen Coronaregeln und Verordnungen auch bei ihnen ankommen und sie das auch richtig verstehen können.

Bülent Aksakal: Was wir unter anderem machen, ist aufsuchende Arbeit. Ich bin schwerpunktmäßig in Gröpelingen tätig. Wir wollen hier durch den Stadtteil gehen und mit den Menschen reden, müssen uns aber natürlich bekannt machen und vorstellen. Der Schwerpunkt liegt darauf, dass wir uns auch die Sorgen anhören und auf Fragen der Menschen eingehen. Wir versuchen auch zu verstehen, dass die Menschen nachvollziehbarerweise Bedenken haben, beispielsweise gegenüber der Corona-Schutzimpfung,.

Foto: privat

Josephine Kwarteng

22, studiert Englisch und Religionswissenschaften in Bremen.

Josephine Kwarteng: Ich bin richtig zufrieden mit dem Start des Projekts. Ich habe so viel gelernt in der kurzen Zeit über andere Menschen und über mich selber. Wenn Menschen mit Fragen kommen, dann sind sie natürlich unsicher. Ich kann versuchen, die Fragen zu beantworten, und wenn sie dann rausgehen und glücklicher sind, dann weiß ich, dass ich es richtig gemacht habe. Das ist das Wichtigste: dass wir den Bewohnern die Ängste nehmen können. Einige Ängste bleiben, aber wenn wir etwas ändern können, dann sollten wir das alle machen.

Bülent Aksakal: Man darf nicht vergessen, wenn man verschiedenste Menschen berät, dass diese Menschen wiederum, diese Mütter, diese Kinder, diese Jugendlichen, diese Väter, mit anderen Menschen reden im Viertel. Das sind auch sogenannte Multiplikatoren. Das ist eine Sache, die sich im Laufe der Monate immer effektiver, effizienter aufbauen wird. Da muss man auch Geduld haben. Wir bekommen über unser Netzwerk aber jetzt schon mit, dass unsere Arbeit Wirkung zeigt, das ist eine gute Sache.

Josephine Kwarteng: Ich habe gemerkt, auch wenn ich vorher schon hier im Stadtteil gearbeitet habe: Man kann sich jetzt nicht einfach hinstellen und Flyer verteilen und sagen: „Wir sind die neuen Gesundheitsfachkräfte.“ Ich muss die Menschen erreichen, egal wie – ob mit Sprache oder Bildern. Ich kann nicht erwarten, dass die Menschen zu mir ins Büro kommen, ich muss rausgehen und die Menschen ansprechen, ich muss wirklich handeln. Oft wissen die Menschen nicht, was ich mache, und denken, ich arbeite mit der Polizei zusammen und sammle Informationen über sie. Das Vertrauen aufzubauen, ist erst mal sehr schwer. Man muss wirklich aktiv sein und motiviert sein und rausgehen.

Foto: Leo Agthe

Marcus Wächter-Raquet

46, ist Fachreferent bei der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen.

Bülent Aksakal: Ich bin durch meine vorherigen Tätigkeiten und auch privat sehr interessiert an politischen und sozialpolitischen Themen. Ich war es schon gewohnt, mit Menschen zu reden, zu debattieren – auch mit Menschen, die ganz andere Meinungen haben. Das hat mir geholfen, dass ich jetzt ruhig bleiben kann, auch in schwierigen Situationen. Es sind Menschen in schwierigen Situationen, in schwierigen sozialen Lagen, mit denen wir kommunizieren. Das macht dieses Projekt so schwierig: Einerseits soll man aufklären zu einem aktuellen, sehr brisanten Thema wie Corona, andererseits gibt es so viele soziale Nebenaspekte wie beispielsweise der drohende Verlust des Arbeitsplatzes, die mit reinspielen, worüber die Menschen auch reden wollen oder wo sie Fragen zu haben.

Marcus Wächter-Raquet: Das menschliche Verhalten wie ein nachlässiger Umgang mit den Kontaktbeschränkungen ist das eine, das zu einem hohen Inzidenzwert führt, aber das andere sind strukturelle Faktoren wie ein enger Wohnraum, ein langer Arbeitsweg. Und das sind die Hauptfaktoren und an denen können wir auch gar nichts ändern. Das muss man auch aushalten können, das wird so bleiben. Für diese ganzen strukturellen Sachen können die, die das jetzt aushalten müssen, am allerwenigsten. Das sind die Leidtragenden der ganzen Geschichte.

Das Projekt „Gesundheitsfachkräfte in Bremer Quartieren“

Laufzeit:

1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Förderung:

Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz aus Mitteln des Bremen Fonds

Ausstattung:

In Bremen unterstützen elf Gesundheitsfachkräfte die Arbeit der Akteure in benachteiligten Quartieren

Ziel:

Bevölkerungsgruppen, die bisher nicht oder nur unzureichend erreicht wurden, mit Informationen zum Coronavirus unter Berücksichtigung von Bremer Spezifika zu versorgen

Projektträger: Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V., ein gemeinnütziger und unabhängiger Fachverband mit Geschäftsstellen in Niedersachsen und Bremen

Bülent Aksakal: Man muss wirklich sensibel auf die Menschen eingehen. Bisher gelingt das ganz gut. Man darf da auch nicht naiv drangehen, man kann nicht alle erreichen. Der Großteil der Menschen, meiner Erfahrung in Gröpelingen nach, ist aber bereit zu reden und zuzuhören. Die Mehrheit nimmt Corona auch ernst. Man muss sich eben nur mal die Zeit nehmen, auch zuzuhören.

Marcus Wächter-Raquet: Man kann nicht einfach jemandem sagen, was richtig ist. Jeder hat eine andere Wahrnehmung und handelt aus einem anderen Kontext. Manchmal, da arbeiten die Dinge ja weiter nach so einem Gespräch. Dann muss man vielleicht noch ein, zwei Mal drüber schlafen. So kommt man selber vielleicht am Ende auf ein ganz anderes Ergebnis.

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