piwik no script img

das ding, das kämeCorona stoppt den Birkenfrevel

Saftstrotzend und aufgerichtet: Die Saison des Maibaums (hier die ortsuntypische, weil schwäbische Form) bricht auch im Norden an Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Maibäume? Nie gehört? Na ja. Vielleicht kommen Sie nicht vom Lande, aus pulsierenden Metropolen wie Neumünster oder retardierten Städten, wo dieses Brauch- und Sauftum – denn Maibaumstellen ist eine per se alkoholhaltige Tätigkeit – nun mal gepflegt wird beziehungsweise wuchert. Also wird es hier erklärt: Es besteht darin, in der Nacht zum 1. Mai junge Birken abzuhacken, oft illegal, gerade wenn der Saft in ihnen hochsteigt – es ist wirklich eine Schande! –, und sie dann anonym der Angebeteten vor die Haustür zu setzen, angebunden an einen Mast meistens, einen Laternenpfahl oder irgendetwas, was da rumsteht und sich nicht wehrt.

Wenn Sie jetzt sagen: Hoppla! In diesem Text wurde bisher kein bisschen gegendert, dann liegen Sie richtig. Das soll so. Denn diese volxtümliche Praxis ist zwar nicht von konfessionellen Parametern abhängig – im reformierten Ostfries- und im erzkatholischen Emsland werden gleichermaßen Maibäume gestellt –, aber sie ist heteronormiert, relativ streng sogar, auch wenn selbstverständlich in den 1990er-Jahren auch hier eine invertierte Form aufgekommen war: Damals hat man ja alles, was scheiße war, ironisch zitiert, um es machen zu können, ohne sagen zu müssen, dass man es eigentlich geil findet. In manchen Bereichen hat sich das verstetigt. In der Maibaumfrage nicht.

Das liegt auch an ihrer übermäßig-aufdringlichen Sexualsymbolik: Einen zu allem Überfluss wirklich stark sekretierenden Baum senkrecht vor ein Fenster zu platzieren, um das zu entziffern, braucht es keine Freud-Lektüre. Entsprechend gilt nach wie vor in der Mehrheit der Fälle: Er säuft; und er hackt, schleppt, schleift und stellt, so er es mit seinen Kumpanen gerade noch hinkriegt, unter so wenig Gejohle wie möglich – es ist niemals wirklich wenig – den Maibaum. Sie wird nicht gefragt, tut so, als bemerke sie den Schaden erst am nächsten Morgen, und wird auch noch mit der Entsorgung des Stumpfs allein gelassen; wie mit einer ungewollten Schwangerschaft.

Corona wird die Unsitte diesmal stark eindämmen. Das ist die gute Nachricht, auch für Jungbirken. Die schlechte: Wirklich alles wird versucht, unter dem Regime der Pandemieverordnungen ins Digitale auszuweichen. Die Gefahr ist groß, dass es zum gehäuften Versand kommt – von Dickpics.

Benno Schirrmeister

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen