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„Ich lass mich durch Corona nicht ins Bockshorn jagen“

Das European Media Art Festival in Osnabrück findet zwischen dem 21. und 25. April zum zweiten Mal nur online statt. Die taz sprach mit der Ko-Leiterin und Kuratorin des Filmprogramms, Katrin Mundt

Interview Wilfried Hippen

taz: Frau Mundt, bis vor ein paar Wochen bestand noch Hoffnung, dass das European Media Art Festival (EMAF) in einer Hybridausgabe veranstaltet werden könnte. Wie sieht Ihre Notlösung aus?

Katrin Mundt:Das Filmprogramm wird wieder nur online präsentiert werden. Aber wir hoffen, dass wir später im Jahr auch einige der Filme in Kinos zeigen können. Wir wollen dafür aus den Wettbewerbsfilmen ein Kondensat zusammenstellen. Aber für mich ist es fast noch wichtiger, was mit unserem Themenprogramm passiert, das in diesem Jahr ausschließlich aus analogen Filmen besteht. Dafür waren Vorführungen von 16mm-Filmkopien mit Liveperformances in Kinos geplant. Und das möchte ich auf jeden Fall noch irgendwo und irgendwann zeigen. Wir sind da schon mit unterschiedlichen Spielorten im Gespräch. Die sind dann gar nicht alle in Osnabrück, sondern in Berlin, Wien und Rotterdam, denn dort gibt es Communitys, die sich für Analogfilm und Filmperformances interessieren.

Aber war bisher das EMAF nicht ausschließlich in Osnabrück verortet?

Ja, aber jetzt geht es auch darum, neu darüber nachzudenken, was ein Festival sein kann. Es müssen ja nicht alle nach Osnabrück kommen, die das EMAF sehen wollen, sondern das EMAF kann sich ja auch in Bewegung setzen. Die Bedingungen, unter denen wir zur Zeit arbeiten, legen das nah.

Was ist die Philosophie dahinter, ausgerechnet jetzt ein analoges Filmprogramm zu präsentieren?

Das ist ein wenig aus Trotz entstanden. Wir haben ja auch im letzten Jahr schon nur online stattgefunden und ich habe mich mit Ku­ra­to­r*in­nen zusammengesetzt, um darüber nachzudenken, wie wir etwas machen können, das dieser totalen Digitalitätseuphorie entgegensteht. Alle gingen ja plötzlich online und waren darüber begeistert, welche Reichweite sie so hatten. Das war auch für uns toll, aber wir wollten das Kino als Ort wieder ernst nehmen. Also eine Dichte ermöglichen, statt immer nur auf Streuung zu setzten. Und dann haben wir eine Reihe konzipiert, die live und vor Ort veranstaltet werden muss.

Aber ist nicht die böse Pointe dabei, dass dieses Programm zurzeit gar nicht gezeigt werden kann?

Natürlich ist das bitter, aber es bedeutet nicht, dass ich mich dadurch ins Bockshorn jagen lasse. Denn wenn man sich immer nur auf die Umstände einstellt, macht man viele Dinge, die hinter den eigenen Ansprüchen zurückfallen.

Den Kern des Festivals bildete immer die große Ausstellung in der Kunsthalle. Fällt die in diesem Jahr ganz der dritten Coronawelle zum Opfer?

Die große Ausstellung wird aufgebaut, und wir haben die Hoffnung, dass sie irgendwann auch zugänglich sein wird.

Stattdessen gibt es eine Ausstellung, die in Schaufenstern in der Innenstadt stattfindet. Was hat es damit auf sich?

Katrin Mundt 50, wurde in Essen geboren und studierte Slawistik und Anglistik in Bochum, Großbritannien und der Ukraine. Sie ist als Kuratorin und Autorin tätig und seit 2018 Ko-Leiterin des European Media Arts Festivals.

Kunststudierende aus Bremen, Braunschweig und Osnabrück stellen dieses Jahr in den Fenstern einiger Galerien in der Innenstadt aus, die Arbeiten können also auch ganz coronakonform von draußen betrachtet werden.

Wie wurde dieses Projekt organisiert?

Ein Problem dabei war, wie der Aufbau organisiert wird. Diese Fenster werden von den Kunsthochschulen von Bremen und Braunschweig bespielt. Und das sonst übliche tolle gemeinsame Aufbauen innerhalb von fünf Tagen vor dem Festival, bei dem alle Künst­le­r*in­nen da sind und rocken, wird es so nicht geben. So fehlt das kollegiale Zusammensein.

Wer reist denn überhaupt zum Festival an?

Niemand. Bei der großen Ausstellung haben die Künst­le­r*in­nen ihre Anweisungen darüber, wie ihre Installationen in der großen Ausstellung präsentiert werden, per Ferndiagnose übermittelt. Und während des Festivals werden nur die Ku­ra­to­r*in­nen vor Ort sein. Ich werde auch da sein, aber ich habe eigentlich keine konkrete Funktion, weil ja alles, was ich verantworte, ohnehin online passiert.

Aber wird ein Festival nicht erst dann lebendig, wenn ein Publikum auf die Filme regiert? Geht so nicht seine Essenz verloren?

Besonders schlimm ist das ja für die Fil­me­ma­che­r*in­nen selber. Ich habe viel mit Künst­le­r*in­nen gesprochen, die seit einem Jahr ihre Filme nur online zeigen können. Und die sagen alle, dass es furchtbar für sie ist und wie sehr es ihnen fehlt, dabei zu sein und selber zu sehen, was von ihren Werken ankommt oder was nicht funktioniert.

Aber was bleibt dann noch vom Festival übrig?

European Media Art Festival: Do bis So, 21.–25. 4., www.emaf.de

Wenig. Um dem ein wenig gegenzusteuern, planen wir eine kleine, digitale Festivallounge. Einen virtuellen Raum, in dem man sich treffen und miteinander austauschen kann. Das soll dann ein wenig informelles Herumlungern sein. Das wird dann so ähnlich wie „Second Life“, also ein Raum, in dem die Menschen als Avatare zusammenkommen.

Das klingt ja eher gruselig. Und auch Ihr Schwerpunkt „Possessed“ erinnert an den Titel eines Horrorfilms. Wie kam es zum Thema „Besessen“?

Wenn jemand etwas besitzt, wird er davon immer auch besessen. Es ist ein schillernder Begriff und wir wollten sein ganzes Spektrum ausschöpfen. In der Ausstellung und in den Talks geht es um Fragen wie das Fortleben kolonialer Besitzverhältnisse und darum, welche heutigen Ausbeutungsverhältnisse sich auf historisch kapitalistische zurückführen lassen. Oder wie kann die Erinnerung an Sklaverei heute fortgeschrieben werden. Aber es geht auch um Trance und alternative Bewusstseinszustände.

Für das diesjährige Filmprogramm haben Sie aus 2.700 Einreichungen 31 Beiträge ausgewählt. Was ist von dem Programm zu erwarten?

Es gibt thematische Leitmotive wie Fragen nach Erinnerungen und Identität: Wie spielen familiäre Hintergründe und Genderidentitäten ineinander. Wie wollen wir in der Welt und mit der Natur leben? Wie wollen wir natürliche Ressourcen nutzen? Welche Formen von Wissen kursieren und auf welche Alternativen von Wissen könnte man zurückgreifen, um anders im Einklang mit der Welt zu leben? Es gibt Filme, die sich mit Landschaften auseinandersetzen, die von Konflikten geprägt sind. Oder es geht um städtische Infrastrukturen, wie etwa in Hongkong nach den Protesten. Wie kann man sich Fotoarchive aus der kolonialistischen Vergangenheit neu aneignen? Es gibt medienhistorische und medientheoretische Arbeiten, aber auch solche, die sich mit politischen Verhältnissen wie Kolonialismus in der Gegenwart beschäftigen. Das geht hin bis zu ganz persönlichen, autobiografischen Filmen, in denen sich Leute darüber klar werden wollen, wie sie mit beiden Beinen in der Welt stehen können.

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