Femizide in Kirgistan: Das soll Tradition sein?

In Kirgistan erwehrt sich eine Frau der Avancen eines Bräutigams – und wird dann von diesem ermordet. Gegen „Brautraub“ gibt es nun Proteste.

Frauen halten Protestplakate und Bilder der Ermordeten in die Höhe

Frauen protestieren nach dem Brautraub vor dem kirgisischen Innenministerium Foto: Vladimir Pirogov/Reuters

Manche Kirgisen legen den Begriff „auf Brautschau gehen“ sehr eigenwillig aus. Sie nehmen sich, wen sie wollen, oft mit Gewalt. Manchmal endet der Körpereinsatz auch tödlich – wie bei Aizada Kanatbekowa. Die 27-Jährige war Anfang vergangener Woche im Zentrum der Hauptstadt Bischkek in ein Auto gezerrt und weggebracht worden. Überwachungskameras haben das aufgezeichnet, das Video der Entführung kursiert im Internet. Stunden später war Kanatbekowa tot. Der Entführer hatte sie erwürgt und sich kurz darauf mit mehreren Messerstichen selbst getötet.

Drei Tage später und allen coronabedingten Verboten zum Trotz versammelten sich Hunderte vor dem Innenministerium und forderten den Rücktritt des obersten Dienstherren. „Wie viele von uns müssen noch sterben, bevor die Entführungen aufhören?“, war auf einem Plakat zu lesen.

Dann zog die Menge vor den Regierungssitz von Ministerpräsident Ulukbek Maripow. Der faselte etwas von einem „Sinn für Intoleranz“, den die Öffentlichkeit angesichts solcher Taten entwickeln müsse.

Vielleicht sollte sich da auch die Polizei angesprochen fühlen. Aizada Kanatbekowa hatte sich in der Vergangenheit mehrfach der Avancen des ungeliebten Bräutigams erwehren müssen und die Polizei um Schutz gebeten. Ohne Erfolg. Auch als Kanatbekowas Mutter einen Tag nach dem Verschwinden ihrer Tochter eine Vermisstenmeldung machte, sahen die Ordnungshüter keinen Handlungsbedarf. Immerhin: Der Polizeichef von Bischkek sowie drei hohe Uniformträger wurden mittlerweile gefeuert.

Ihr Schicksal ist kein Einzelfall

Dabei ist das Schicksal von Kanatbekowa kein Einzelfall. Schätzungsweise 14 Prozent der Frauen unter 24 Jahren werden in dem zentralasiatischen Land zwangsverheiratet, heißt es in einem UN-Bericht von 2018. Zwar wurde das Strafmaß für den „Brautraub“, der in Kirgistan „Ala katschuu“ heißt und eine lange Tradition hat, 2013 erhöht. Aktuell drohen sieben Jahre Haft, im Fall von minderjährigen Opfern gibt es drei Jahre obendrauf.

Dennoch scheint das die Herren der Schöpfung nicht zu beeindrucken. Die sind auch sonst im Umgang mit ihrer Angetrauten nicht zimperlich. Die Nachrichtenseite Kloop.kg berichtet von 300 Frauen, die seit 2008 infolge häuslicher Gewalt gestorben seien. Dabei dürfte die Dunkelziffer viel höher sein.

Übrigens: Die Kir­gi­s*in­nen haben am Sonntag über Verfassungsänderungen abgestimmt, die für den Präsidenten weitreichende Vollmachten vorsehen. Amtsinhaber Sadyr Japarow kann sicher sein, dass er diesen Freifahrtschein erhalten wird. Vielleicht sollte er die Gelegenheit nutzen, um auch in Sachen Frauenrechte so richtig durchzuregieren. Doch von derartigen Plänen ist leider nichts bekannt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.