Tobias Schulze über das AstraZeneca-Chaos
: Angst haben dürfen

Wenig Verständnis gab es bisher für all jene, die sich den Impfstoff von AstraZeneca lieber nicht spritzen lassen wollten. Die Empörung begann direkt nach dem Impfstart und ersten Berichten darüber, dass ein relevanter Teil der impfberechtigten Pflegekräfte das Angebot ausschlage. Und sie schwoll weiter an, je mehr Impfdosen sich unbenutzt in den Regalen der Impfzentren stapelten. Der moralische Druck zur Astra-Impfung war zwischendurch beachtlich. Zu Recht? Nach den neuen Erkenntnissen über mögliche Zusammenhänge zwischen der AstraZeneca-Impfung und neun Todesfällen ist diese Frage nicht mehr so leicht zu beantworten.

Die Zahlen sind zwar eindeutig: Die Impfung ergibt Sinn. Das individuelle Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken und dann auch zu sterben, ist für die betreffenden Altersgruppen zwar gering – auch dank der massiven Hygienemaßnahmen. Das ungesicherte (!) Risiko, infolge der Impfung mit AstraZeneca zu sterben, ist allerdings noch weit geringer – selbst für die Frauen unter 65 Jahren, unter denen es mutmaßlich die meisten Impfkomplikationen gab.

Auf einem ähnlichen Niveau könnten sich die Sterberisiken höchstens bei Untergruppen wie den sehr jungen Frauen bewegen, die sehr selten an Corona sterben. Doch selbst wenn es auf der individuellen Ebene um ein Nullsummenspiel gehen sollte, bliebe der kollektive Nutzen: Je höher die Impfquote, desto langsamer kann sich das Virus verbreiten, desto weniger Menschen sterben also insgesamt und desto eher können die geltenden Freiheitsbeschränken aufgehoben werden.

Besteht deshalb eine moralische Pflicht zur Impfung, auch mit AstraZeneca? Bisher klang das schlüssig, ja. Möglicherweise sind inzwischen aber neun Menschen wegen dieses Impfstoffs gestorben. Allein das, so klein die Wahrscheinlichkeit auch ist, verbietet jede Herablassung gegenüber Menschen, die sich vor diesem Impfstoff fürchten. Ein Glück, dass für sie Vakzine anderer Hersteller bleiben. Mit weniger Risiko und hoffentlich bald in ausreichender Menge.

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