Bürgerportal „programmbeschwerde.de“: Kummerkasten für die Flimmerkiste

In Deutschland ärgert man sich gerne übers Fernsehen. Das Portal „programmbeschwerde.de“ verzeichnet jährlich mehr Eingänge. Und wo gehen die hin?

Zwei Kinder, vermutlich Jungs, schauen im Dunkeln fern

Für den Jugendschutz sind Hinweise aufmerksamer Zu­schaue­r*in­nen wichtig. Aber nicht alle Foto: Milan Jovic/E+

„Train Your Baby Like a Dog“ – „trainieren Sie Ihr Baby wie einen Hund“: Schon der Titel dieser RTL-Sendung führte im Januar zu Entrüstungsstürmen. Auf dem Portal „programmbeschwerde.de“ gingen über 600 Hinweise entsetzter Zu­schaue­r*in­nen ein. Schon 2020 verzeichnete das Portal für Kritik am TV-Programm einen Rekord: 25 Prozent mehr Beschwerden als im Vorjahr waren eingegangen. Die Verantwortlichen sehen darin einen klaren Hinweis auf die „gestiegene Sensibilität für Medieninhalte“ sowie, da schieben sie gleich eine zweite Schlussfolgerung hinterher, für „die Bedeutung regulatorischen Handelns“.

Die Landesmedienanstalten stehen immer wieder in der Diskussion, ihre Zuständigkeiten ungefragt auszuweiten

Die Webseite programmbeschwerde.de nennt sich die „zentrale digitale Anlaufstelle aller 14 Medienanstalten“. Ein „Bürgerportal“, wo „potenzielle Verstöße gegen Jugendschutz-, Werbe- und Gewinnspielrichtlinien“ gemeldet werden können, oder auch „unangebrachte Inhalte im privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie in Online-Angeboten“.

Kurios: Von den 2.613 Beschwerden im Jahr 2020 entfiel über die Hälfte auf öffentlich-rechtliche Sender, für welche die Betreiber des Portals eigentlich nicht zuständig sind. Das sind nämlich die Landesmedienanstalten – und die sollen nur Inhalte privater Anbieter überwachen. Das Bürgerportal selbst fällt sowieso keine Entscheidung darüber, ob und inwieweit Beschwerden gerechtfertigt sind. Es leitet erst mal nur weiter.

So auch bei „Train Your Baby Like a Dog“. Aktuell ermittelt die niedersächsische Landesmedienanstalt, die für RTL zuständig ist. Sie sieht bei „Train Your Baby Like a Dog“ einen „Anfangsverdacht für einen Verstoß gegen den Jugendmedienschutzstaatsvertrag“ sowie die „Verletzung der Menschenwürde“ und wird „den Fall“ zur Prüfung der Kommission für Jugendmedienschutz vorlegen, eine gesonderte Behörde der Landesmedienanstalten. Aber wie stichhaltig sind die Tadel?

Beschwerdezahlen sagen wenig über Qualität oder Mängel der deutschen Medienlandschaft aus. „Wir haben immer wieder Beschwerden über die Bewerbung von Sexspielzeug im Tagesprogramm“, berichtet Ina Goedert, Abteilungsleiterin Content, Jugendschutz und Medienforschung bei der Landesmedienanstalt Saarland, die für das Bürgerportal zuständig ist.

Unklare Zuständigkeiten

Verstöße wurden aber noch nie festgestellt, wenn Amorelie und Co. im TV ihre Erotikprodukte anpreisen. Auch die regelmäßigen Hinweise von älteren Zuschauer*innen, die Hintergrundmusik sei generell zu laut, könnten kaum als Missstände gewertet werden. „Das Portal wurde als zentrale Anlaufstelle gegründet – es gibt für jedes Bundesland eine zuständige Landesmedienanstalt, und auch bei ARD sowie ZDF müssten Zuständigkeiten geklärt werden“, sagt Goedert. „Diese Fragen wollten wir den Bürgerinnen und Bürgern abnehmen.“

Tatsächlich bietet jede Aufsichtsbehörde eigene Onlineformulare, um auf Verstöße hinzuweisen. Aber Laien dürften kaum nachvollziehen können, warum etwa die zuständige Behörde für einen nordrhein-westfälischen Sender wie RTL in Niedersachsen sitzt. Auch ARD und ZDF bieten eigene Möglichkeiten für Beschwerden. Beim Googlen der Begriffe „TV“ und „Beschwerde“, erscheint tatsächlich an erster Stelle „programmbeschwerde.de“. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass auch Plakatwerbung in die Schusslinie gerät, was wiederum an den Werberat weitergeleitet wird.

Die Landesmedienanstalten jedenfalls stehen immer wieder in der Diskussion, ihre Zuständigkeiten ungefragt auszuweiten. Parallel dazu entzündet sich regelmäßig Kritik an ihrer aufwendigen föderalen Struktur, die in einer internatio­nalen Medienlandschaft vielen nicht mehr zeitgemäß scheint. Finanziert werden sie von den Beitragszahlenden. Knapp 2 Prozent der Rundfunkbeiträge gehen an sie. 2019 waren das rund 105 Millionen Euro.

Die Höhe der Einnahmen der Landesmedienanstalten, deren Verwendung und die automatische Teilhabe an Erhöhungen des Rundfunkbeitrags wurden wiederholt kritisiert, unter anderem von den Rechnungshöfen sowie der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Der pensionierte Justiziar des Hessischen Rundfunks Jürgen Betz, ebenfalls ein Kritiker, hält programmbeschwerde.de zwar nicht für überflüssig, sieht aber auch keine besonders wichtige Funktion: „Es ist eine zentrale Durchlaufstation für Kritik aller Art – mehr nicht.“

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