Erdrutschsieg für die Reformer des Kosovo

Bei der Parlamentswahl erringt die Partei von Ex-Premier Albin Kurti die meisten Stimmen, sogar die absolute Mehrheit könnte drin sein. Im Zentrum Prishtinas feiern die Menschen

Anhängerinnen und Anhänger von Vetëvendosje jubeln am Wahlabend im Zentrum von Prishtina Foto: Visar Kryeziu/ap

Von Erich Rathfelder, Sarajevo

Als sich trotz Coronapandemie Tausende von Anhängern der Partei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) im Zentrum Prish­ti­nas versammelten, brachen am Sonntagabend immer wieder Jubelstürme aus. Denn Albin Kurti und seine Partei Vetëvendosje haben die Parlamentswahlen im Kosovo für sich entschieden.

Nach Auszählung von 98 Prozent der Stimmen kam die Partei des ehemaligen Studentenführers und Bürgerrechtlers Albin Kurti und der Reformpolitikerin Vjosa Osmani auf 48 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung der knapp 1,8 Millionen Stimmberechtigten wurde von der Wahlkommission mit 45,5 Prozent angegeben. Nach ersten Berechnungen können die Sieger mit mindestens 55 Sitzen im 120-köpfigen Parlament rechnen.

Da aber die Stimmen aus der Diaspora noch ausgezählt werden, könnte sich das Wahlergebnis für die Wahlsieger noch günstiger gestalten. Aus Quellen der diplomatischen Vertretung Kosovos in der Schweiz, wo rund 200.000 Kosovoalbaner leben, geht hervor, dass die Mehrheit der Diasporastimmen auf Vetëvendosje fallen werden. So können Kurti und Osmani vielleicht sogar aus eigener Kraft die Stimmenmehrheit von 61 Sitzen im Parlament erreichen. Zudem sind 20 Sitze für die Minderheiten der Serben (10), Roma, Ashkali, Bosniaken, Goranen und weiteren reserviert, von denen einige Vertreter Vetëvendosje unterstützen dürften.

Lange Gesichter gab es dagegen bei den Wahlverlierern. Der Spitzenkandidat der langjährigen Regierungspartei PDK (Demokratische Partei des Kosovo), Enver Hoxhaj, gestand gegenüber der taz unumwunden die Niederlage ein. Der ehemalige Außenminister erklärte zudem, er habe Kurti noch am Sonntagabend gratuliert. Die PDK, die aus der Befreiungsarmee UÇK hervorgegangen war, konnte nur 17 Prozent der Stimmen und zwei Wahlkreise gewinnen. Diese Wahlkreise liegen in Drenica, einem Landstrich, in der die UÇK gegründete wurde und aus der ihr langjähriger Führer Hashim Thaçi stammt. Der ehemalige Präsident muss sich aber zurzeit vor einem Sondertribunal gegen Kriegsverbrechen in Den Haag verantworten.

Auch auf die zuletzt regierende konservative LDK (Demokratische Liga des Kosovos) entfielen nur 13 Prozent der Stimmen. Für die von dem legendären Bürgerrechtler und Pazifisten Ibrahim Rugova (1944–2006) gegründete Partei war es das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte. Nachdem die Altherrenriege die Reformerin Osmani aus der Partei geworfen hatte und diese zur Konkurrenz gewechselt war, verlor sie die Hälfte ihrer Stimmen an Vetëvendosje. Isa Mustafa, der Vorsitzende der LDK, sagte, seine Partei werde das Wahlergebnis respektieren.

„Unsere Prioritäten sind Gerechtigkeit und Jobs“, erklärte Kurti in der Wahlnacht vor Anhängern, die ihn am Sitz seiner Partei in Prishtina euphorisch feierten. „Der Weg vor uns ist lang, wir werden auch Fehler machen, aber unsere Ziele sind nobel“, fügte er hinzu.

Das ambitionierte Programm sieht vor, zuallererst die Pandemie zu bekämpfen, die Korruption aufzudecken, den Staat zu verschlanken und effektiver zu machen, ein Sozialprogramm aufzulegen, denn Rentner müssen derzeit mit weniger als 80 Euro pro Monat auskommen, und den Weg für ausländische Investoren zu ebnen. Kurti möchte den jungen Leuten – die Mehrheit der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt – eine Perspektive geben und sie im Land halten.

Vetëvendosje hat schon bewiesen, dass die Partei regieren kann. Doch die Erwartungshaltung seiner Anhänger ist sehr hoch und wird nicht gleich erfüllt werden können. Mehrere Stimmen aus Prishtina erklärten gegenüber der taz, dass sie dennoch endlich Licht am Ende des Tunnels sehen.

Allerdings hatte die Wahlkommission Kurti von der Kandidatenliste seiner Partei gestrichen. Der Grund war eine Vorstrafe, die er sich 2018 wegen eines Tränengasangriffs im Parlament eingehandelt hatte. Die Strafe ist auf drei Jahre begrenzt und wäre im September ohnehin verjährt. Dennoch wird nach dem Wahlsieg wohl niemand mehr versuchen, Kurti als Ministerpräsidenten zu verhindern.

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