Neues Album von Rapper Slowthai: Jeder Song ein Affront

Besser nicht unterschätzen: Der britische Rapper Slowthai knallt seinen Landsleuten mit seinem neuen Album „TYRON“ gehörig was vor den Latz.

Slowthai heult bittere Tränen

Heulen kann er auch noch: Britrapper Slowthai Foto: Universal

Sieben Songs hart, sieben Songs zart: Auf diese kurze Formel könnte man das neue Album des britischen Rappers Slowthai bringen. „TYRON“ heißt es, so wie sein bürgerlicher Vorname, in Großbuchstaben, wie ein Graffiti-Tag. Am heutigen Freitag erscheint es, und es ist ein weitaus persönlicheres Werk als sein Debütalbum „Nothing Great About Britain“ (2019) geworden.

Dabei klingen die ersten sieben Tracks düster und abgründig, ihnen liegen brodelnde elektronische Klänge zwischen Postpunk, Industrialsound, Grime und Trip­Hop zugrunde, über die Slowthai seinen Sprechgesang legt. Darauf folgen sieben Tracks, die verspielter, heller und harmonischer klingen – hier zeigt er sich sowohl von Indie und Pop als auch vom funkigen und jazzigen US-Boom-Bap-Stil à la A Tribe Called Quest geprägt.

Slowthais vollständiger Name lautet Tyron Frampton, geboren wurde er als Sohn einer barbadisch-irischen Mutter (die ihn mit 16 bekam) und eines englischen Vaters, der die Familie früh verließ. Der heute 26-Jährige wuchs in prekären Verhältnissen auf, in der Industriestadt Northhampton, 100 Kilometer nördlich von London. Sein Song „Northhampton’s Child“ (2019) erzählt von dieser schwierigen Kindheit und Jugend. Zu Schulzeiten wurde er – weil er so langsam redete – „Slow Ty“ genannt, daher sein Künstlername.

Gegen Abschottungspolitik

Man darf ihn nie unterschätzen: Sein Debütalbum ist eines jener Werke, die aus der Ära Brexit nachhaltig in Erinnerung bleiben werden. Denn mit „Nothing Great About Britain“ inszenierte sich Slowthai als Gegner von Boris Johnsons Abschottungspolitik. Er polemisierte gegen Brexit und den Nationalismus seiner Landsleute, gegen die gravierende soziale Schieflage im Lande und den Nimbus der Königsfamilie.

Slowthai:“TYRON“ (Method Records/Universal)

Der Titeltrack endet mit den Worten: „I will treat you with the utmost respect / Only if you respect me a little bit Elizabeth / You cunt“. Was für ein Affront. Dem Aufstieg von Slowthai stand die Wut nicht im Wege. Sein Debütalbum war sowohl kommerziell als auch bei Kri­ti­ke­r:in­nen ein Erfolg, es kam in Großbritannien in die Top Ten und war für den britischen Mercury Prize nominiert.

Musikalisch fühlt er sich bei Grime und HipHop am wohlsten, sein Sound ist aber auch von Punk geprägt. Sowohl das Debüt als auch die Provokationen drumherum – bei der Verleihung des Mercury Prize fuchtelte er auf der Bühne mit einem enthaupteten Kopf des britischen Premierministers herum und rief „Fuck Boris Johnson!“ – erinnerten an die öffentlichkeitswirksamen Interventionen von Punk der späten siebziger Jahre.

Brillante Dramaturgie

„TYRON“ klingt nun musikalisch mindestens so dicht und dringlich wie das Debüt. Den ersten großen Aufschlag macht Slowthai im zweiten Track „CANCELLED“ (im Duett mit Künstlerkollege Skepta), darin rappt er über düster, wummernde Soundscapes; Bässe und Beats knallen, und auch die Dramaturgie ist brillant: Das vorherige Stück „45 SMOKE“ wirkt wie der Prolog, ehe Slowthai frontal seine Kri­ti­ke­r:in­nen anspricht: „How you gonna cancel me? / 20 awards on the mantle piece / Pyramid Stage at Glastonbury / Girls in the crowd got their hands on me“, singt er darin mit straight vorgetragenem Sprechgesang.

Der Text spielt offensichtlich auf die Kontroverse um seine Person bei den NME-Awards 2020 an: Bei der Preisverleihung des Internetmusikmagazins NME machte Slowthai gegenüber Moderatorin Katherine Ryan anzügliche Sprüche und drängelte sich an sie – woraufhin in den sozialen Medien dazu aufgefordert wurde, ihn zu „canceln“.

Der Rapper entschuldigte sich, doch die Cancelcrowd war schon nicht mehr zu bremsen. In einem Gespräch mit Vice zeigte er sich kürzlich nicht gerade erbaut ob des Furors von Cancel-Culture, die Leute seien in den sozialen Medien viel zu schnell dabei, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Neben jenem Song sind auch „MAZZA“ (mit US-Rapper A$AP Rocky) und „DEAD“ beeindruckend vielschichtig und dicht produziert – man wünschte sich, die Songs würden augenblicklich in einem Club mit fetter Anlage abgespielt.

Erst nervös, dann fragil

Vom nervösen, fiebrigen, getriebenen Duktus der ersten sieben Stücke geht es nahtlos über zum zweiten Teil des Albums, der völlig anders klingt: Da singt Slowthai über eine fragile Folk-Melodie („push“), da findet sich mit „i tried“ ein Mellow-Popsong mit Chorgesang, und in „feel away“ sind James Blake und Mount Kimbie als Gäste dabei – es ist eine melancholische Piano-Electronica-Weise, die Slowthai im Gedenken an seinen im Kleinkindalter verstorbenen Bruder Michael John komponiert hat. Musikalisch ist es allerdings eines der schwächeren Stücke.

Die HipHop-Ballade „nhs“ ist dagegen ein veritabler Hit, inhaltlich ein Coming-of-Age-Song mit minimalistischer und starker, anspielungsreicher Lyrik: „Stone skimmers / Day dreamers / Nit pickers / Misleaders / Mistreat us / Even though they need us / Ike Tinas / Fight sequence / My demons / Pry feelings / Die dreaming / […] Try breathing / You might find freedom“, hört man ihn da mit sanfter Stimme rappen. Den Song widmet Slowthai den Angestellten des britischen Gesundheitsdienstes National Health Service (NHS), der in der Coronapandemie an die Grenzen seiner Kapazitäten gekommen ist.

Im Videoclip posiert Slowthai auf einem riesigen Stapel Klopapierrollen. Andere Musikvideos stecken voller popkultureller Anspielungen, so parodierte er etwa Szenen aus „Shining“, „American Psycho“, „Trainspotting“ und „A Clockwork Orange“.

Das Konzept von „TYRON“ geht auf, es bricht nicht in der Mitte auseinander, vielmehr ergänzen sich die wütende A-Seite und die einfühlsame B-Seite sehr gut zu einem Gesamtkunstwerk. Zum Thema Genres und Schubladen sagte Slowthai 2019 gegenüber dem Evening Standard: „Ich möchte nicht nur Rapper sein, ich fände es langweilig, immer nur einen Musikstil zu machen. Niemand würde ausschließlich Sushi für den Rest des Lebens essen – es gibt so viel mehr Gerichte! […] Ich kann Punk machen, ich kann Indie machen, solange meine Stimme zu hören ist, ist es auch mein Sound.“ Diesen Worten lässt er auf „TYRON“ musikalische Taten folgen.

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