Vierter Tag Filmfestival Berlinale: Eine Freundin wie sie selbst
Genauer Blick für soziale Fragen und die strenge Poesie des Existenziellen: Der Wettbewerb der Berlinale zeigt starke Frauen mit Schwächen.
Die ungünstigen Umstände, unter denen die Berlinale dieses Jahr läuft, sind umso leichter zu ertragen, je besser die Filme sind. Ein bisschen Begeisterung kommt dann selbstverständlich doch auf, allen Klagen über das aktuell gewählte Streamingmodell zum Trotz. Ein Höhepunkt im diesjährigen Wettbewerb ist etwa der japanische Episodenfilm „Wheel of Fortune and Fantasy“ von Ryusuke Hamaguchi. In drei kurzen Geschichten, die in sich geschlossen sind, kommen Frauen auf sehr unterschiedliche Art in Bedrängnis.
Da ist das Modell Meiko, deren Freundin Tsugumi ihr erzählt, dass sie sich verliebt hat. Bald begreift Meiko jedoch, dass sie den Mann, von dem die Rede ist, weit besser kennt, als für die Freundschaft der zwei Frauen gut ist. Das Dilemma, das folgt, spielt sich dabei lediglich zwischen den Frauen ab, der Mann verhält sich trotz der komplizierten Situation bemerkenswert indifferent. Verantwortung ist anscheinend Sache der Frauen.
In einer anderen Episode soll die Studentin Nao (Katsuki Mori) im Auftrag ihres Liebhabers dessen Professor verführen, um Rache für eine schlechte Benotung zu üben. Nao selbst ist mit einem anderen Mann verheiratet, hat ein Kind. Die Verführung geschieht dabei auf literarischem Weg: Der Professor hat einen Roman geschrieben, der Passagen über Sex enthält. Nao sucht ihn in der Sprechstunde auf und liest ihm die expliziten Seiten vor. Der Versuch, dem Professor so zu schaden, geht am Ende zu ihrem Nachteil aus.
In der letzten Episode fährt die Programmiererin Mora (Fusako Urabe) in einer nahen Zukunft, in der das Internet zusammengebrochen ist, zu einem Klassentreffen mit ehemaligen Schülerinnen. Sie hofft, ihre alte Freundin wiederzutreffen, in die sie einst verliebt war. In Nana (Aoba Kawai) meint sie diese Freundin wiederzuerkennen. Nana führt, anders als Mora, ein sehr heterosexuelles Familienleben. Das Treffen gerät unerwartet innig, wobei unklar ist, ob sie sich jemals zuvor begegnet sind.
Unmögliche Begegnung zweier Frauen
Die Frauen sind in diesen Konstellationen stets auf die eine oder andere Weise benachteiligt. Hamaguchi lässt in seinen geometrisch angeordneten Bildern die bis heute geltende patriarchale Gesellschaftsordnung Japans durchscheinen. Die Frauen erscheinen darin zwar einerseits als Opfer der Verhältnisse, sind allerdings stets Subjekte, die nicht allein der Lage unterworfen sind, sondern sich dazu selbstbestimmt verhalten. Hamaguchi verdichtet diese kurzen Sittenbilder zu einer strengen Poesie des Existenziellen.
Eine unmögliche Begegnung zweier Frauen setzt die französische Regisseurin Céline Sciamma in ihrem ebenfalls im Wettbewerb gezeigten Spielfilm „Petite maman“ ins Bild. Alles beginnt wie eine herkömmliche Familiengeschichte. Die Oma von Nelly (Joséphine Sanz) ist gestorben. Mit ihren Eltern fährt Nelly zum verlassenen Haus der Großmutter, man bleibt einige Tage, um es auszuräumen. Am Morgen nach der Ankunft erwacht Nelly allein mit dem Vater, ihre Mutter ist schon abgefahren, um „allein“ zu sein. Was anfangs so unscheinbar schlicht inszeniert daherkommt wie ein Fernsehfilm, gerät durch einen einfachen Trick zu einem magischen Gedankenspiel.
Denn kurz nach der Abreise der Mutter trifft Nelly beim Spielen im Wald ein anderes Mädchen, Marion, die ihr aufs Haar gleicht. Sie wird gespielt von Gabrielle Sanz, der Zwillingsschwester der Darstellerin von Nelly. Letztere begreift nach und nach, wen sie da getroffen hat.
Mit sehr leichter Hand baut Sciamma Spukelemente in diese surreale Erzählung, die sich aus der mysteriösen Freundschaft ergibt. Auch bei ihr geht es um Rollen, diesmal aber eher die von Mutter und Tochter, und um Trauer als Teil des Erwachsenwerdens. Mit seinen von den Braun- und Gelbtönen des welken Laubs im Wald und dem verschatteten Licht im leblos-einsamen Haus der Oma geprägten Bildern ein weiterer, stiller Höhepunkt der Berlinale.
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