Fatales Signal zum Buddeln

An der grünen Basis kommt die Vorentscheidung der Senatsverkehrsverwaltung für mehr U-Bahn gar nicht gut an. Manche vermuten darin eine fehlgeleitete Wahlkampftaktik. Bislang hatte die grüne Verkehrspolitik die Tram priorisiert, aber da wurde nicht geliefert

Erst in 114 Jahren würde sich der Ausbau der U7 klimatechnisch amortisieren Foto: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Von Claudius Prößer

Vor 14 Tagen machte Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) eine Ankündigung, die weit in die Zukunft weist: Sie präsentierte mehrere Machbarkeitsstudien für den Ausbau von U-Bahn-Linien und gab eine Vorentscheidung bekannt: Ihr Haus werde detaillierte Nutzen-Kosten-Rechnungen für die Verlängerung der U7 beauftragen – zum BER in Schönefeld und zur Heerstraße in Spandau. Das Problem: Innerhalb der Grünen und in deren Umfeld gibt es enorme Vorbehalte gegenüber einem solchen Projekt. Keine günstige Gemengelage, kurz vor dem Wahlkampf.

Lange hatte die Verkehrsverwaltung bei Netzerweiterungen vor allem auf die Tram gesetzt. Dass sie nun mit wehenden Fahnen zum U-Bahn-Ausbau schreitet, wäre auch ein falsches Bild: Der sei „eine kostenintensive und langfristige Maßnahme“, so Günther, daher verfolge man einen „pragmatischen, verkehrlich begründeten Ansatz“, der exakte und langwierige Berechnungen erfordere: „U-Bahnen sind ein wichtiger Bestandteil der Verkehrsinfrastruktur einer Großstadt – aber nur, wenn der Nutzen höher ist als die Kosten.“

Etwas verklemmt liest sichauch die Legitimierung dieser Weichenstellung durch dengrünen Landesvorstand: „Das ist noch keine Entscheidung für oder gegen einen Bau, sondern ein Aufbringen von Fakten und Daten“, heißt es auf der Webseite. Die „differenzierte Position“ der grün geführten Senatsverwaltung stehe „nicht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag“.

„Im Gegensatz zur SPD“, die „gefühlt jeden Tag eine neue U-Bahn-Linie“ fordere, stehe für die Grünen im Mittelpunkt, dass neue U-Bahn-Kilometer einen „überdurchschnittlichen Zuwachs an Fahrgästen oder die Erschließung neuer Wohngebiete“ bedeuteten, so die Landesspitze. Wo es „verkehrspolitisch, ökonomisch und ökologisch Sinn macht, versperren wir uns keinem Ausbau“. Wichtig sei, dass andere Projekte der Verkehrswende nicht unter dem zusätzlichen Geld- und Personalbedarf für U-Bahn-Planungen litten.

Formulierungen wie „versperren uns nicht“ machen deutlich, dass der teure U-Bahn-Neubau vielleicht auch kein grünes Herzensthema ist, man ihn nach Günthers Entscheidung aber nicht ignorieren, geschweige denn infrage stellen kann.

Wie sehr die Grünen beim Thema U-Bahn wackeln, zeigt sich auch im Wahlprogramm-Entwurf: „Die bestehenden U-Bahn-Strecken wollen wir weiter ausbauen“, heißt es darin entschlossen, „nach Jahren des Stillstands“ habe man „endlich“ Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. Gleich darauf die Rolle rückwärts: Weil der U-Bahn-Ausbau teuer und langwierig sei, „hat für uns bei der schnellen Umsetzung der Verkehrswende der Tram-Ausbau Vorrang“.

Das tun andere: Eine Erwiderung der grünen Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mobilität, die der taz vorliegt, hält mit Kritik nicht hinterm Berg. Die Machbarkeitsstudien und die geplanten Nutzen-Kosten-Rechnungen verstießen gegen den Geist des Koalitionsvertrags, heißt es da: „Der gemeinsame Wille war zu Beginn der Regierungsarbeit, die Tram-Erweiterungen in den Fokus der Arbeit des Senats zu stellen.“ Genau da habe man aber nicht geliefert: Nicht vier neue Linien würden bis Ende der Legislaturperiode eröffnet – wie angekündigt –, sondern voraussichtlich keine einzige. Dieselbe Bilanz gelte für sechs Linien, deren Planfeststellung starten sollte.

Dabei habe die grüne Verkehrspolitik die Tram bislang aus gutem Grund gegenüber der U-Bahn priorisiert: „Weil sie nur ein Zehntel kostet, in der Hälfte der Zeit umzusetzen und klimapolitisch sinnvoller ist“. Die LAG verweist auf ihre mit mehreren Verbänden im Dezember herausgegebene Studie, die den CO2-Ausstoß von U-Bahn-Bauten – insbesondere durch den Einsatz großer Mengen Zement – dem Klimanutzen gegenüberstellt, der durchs Umsteigen vom Auto entsteht. Im Falle der U7 amortisiere sich der Bau klimatechnisch „in ca. 114 Jahren“.

Den Klimaaspekt habe die Verkehrsverwaltung nicht einmal erwähnt, so die LAG. Sie geht davon aus, dass die aufwendigen Nutzen-Kosten-Rechnungen eine Entscheidung quasi schon vorwegnehmen. Sollte der Bund erst einmal eine Förderung im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) bewilligen, sei das Ganze „kaum noch zurückzuholen“.

An der grünen Basis vermuten viele, dass Günther und die Parteispitze eine fatale Strategie verfolgen: Sie wollten der SPD im Wahlkampf den Wind aus den Segeln nehmen, die schon lange auf mehr U-Bahn drängt. Während sich nun ausgerechnet deren Chefs Franziska Giffey (Neukölln) und Raed Saleh (Spandau) über die Verlängerungspläne in ihren Bezirken freuen könnten, werde die SPD die Grünen aber nach Belieben weitertreiben.

Die Verkehrswende muss schnell kommen. Die U-Bahn leistet das nicht

Mahnende Worte kommen auch vom Grünen-Urgestein Michael Cramer. Der Verkehrspolitiker und langjährige Berliner sowie EU-Abgeordnete verweist gegenüber der taz auf die bescheidene Tram-Bilanz 30 Jahre nach der Wende: „Von acht an der Mauer endenden Strecken sind nur drei weitergebaut oder in Angriff genommen worden.“ Bevor hier die Teilung nicht überwunden sei, gebe es keinen Grund, viel Geld und noch mehr Zeit in unterirdische Bauten zu stecken.

„Wir müssen ab sofort bei all unseren Entscheidungen die Klimaverträglichkeit beleuchten und werden daher zu anderen Ergebnissen kommen als bisher“, sagt auch Cramer. „In dieser Zeitenwende leben wir.“ Wichtig bei der Verkehrswende sei, dass sie schnell komme. Was gerade die U-Bahn nicht leiste.

Auch im Parlament beobachtet man die Entwicklung mit Skepsis. „Wir haben einen Klima-Check für alle Senatsmaßnahmen beschlossen“, so der klimaschutzpolitische Sprecher der Grünenfraktion, Georg Kössler. „Folglich werden auch die CO2-Emissionen beim U-Bahn-Bau im weiteren Verfahren genau beleuchtet. Wir wollen eine schnelle Verkehrswende, aber mit einem langfristig tragfähigen Netz.“