Die Wahrheit: Nackt ums Feuer

Neues aus Neuseeland: Während Deutschland bibbert, feiern die Menschen in Hunterville das Kiwiburn-Festival.

Ist es gemein zu erzählen, wo ich zuletzt gefeiert habe? Deutschland hatte gerade Schneechaos, Aotearoa hat Sommer und kein Covid. Oder nur ein bisschen – diese Woche war spontaner Lockdown in Auckland wegen einer infizierten Familie. Davor jedoch konnten sich 2.500 Hedonisten ganz legal auf einer Weide bei Hunterville treffen, um wie jedes Jahr Kiwiburn zu feiern – Neuseelands Burning Man Festival. Das einzige der Welt zur Zeit.

Der „Paddock“ am Fluss war unser Pendant zur „Playa“ in Nevada, wo das Original stattfindet. Der Mega-Event in der Wüste ist aber mittlerweile so riesig und kommerzialisiert, dass die US-Burner der ersten Generation vom Graswurzel-Feeling unseres kleinen Kiwi-Events schwärmen, der sie an die Entstehung von „Black Rock City“ erinnert, ihr Counterculture-Mekka.

Nie war der halbironische Ehrentitel „Godzone“ für das Land der Schafe mehr angebracht als in Covid-Zeiten bei Kiwiburn. Wenn Gott wollte, dass Menschen frei und fröhlich sind, würde er oder sie alle dorthin schicken, wo man sich mit Kunst, Kostümen, Spielereien, Strippereien und Psychedelika ausleben kann – ohne Umweltspuren zu hinterlassen. Ein garantierter Glücklichmacher.

Geschenke jeder Art lassen den Burn erblühen. Wochenlang bauen Teams umsonst die überdimensionale Figur, die am Ende angezündet wird. Jeder bringt was mit, sich ein oder bietet was an – von Frühstück bis Po-Versohlen. Jeder Krümel wird am Ende aufgepickt. Glitter und Federboas, obwohl ein queeres Accessoire, sind „moop“ (matter out of place, also deplatzierte Materie) und damit tabu.

Im Uhrzeigersinn rennen ist schamanisch korrekt

So viel Exzess und „radical self-expression“ – eines der zehn Burner-Prinzipien – kann wohl nur mit einem Sicherheitsnetz funktionieren. Daher gibt es auf der Kuhweide, angelehnt an die freiwilligen „Black Rock Rangers“ in Nevada, die „Black Sheep Rangers“. Die begrüßen sich bei ihren Rundgängen mit „määhh“. Es gibt ein Entspannungszelt, wo man nach schlechten Partypillen aufgefangen wird. Aber irgendwas geht dennoch immer schief.

Mit über tausend anderen saßen wir vor der Feuerinstallation: ein Holzdrache, aus dessen Maul Funken sprühten. Als er fast abgebrannt war und die Feuerwehr-Crew uns durchließ, rissen sich alle die Kleider vom Leib und rannten als johlende Herde um die Flammen. Ein jährliches Ritual. „Touch for those who can’t!“, raunte jemand mit ausgestreckten Händen und berührte nackte Schultern. Dann kam es zur Panne.

Ein paar Wilde rannten in die Gegenrichtung. Die Herde kam dadurch zum Stehen. Außen herum zu laufen war zu kalt, und innen nahe der Glut wurde es zu heiß. Noch Tage nach dem Kiwiburn wurde das Chaos, das in all der Spontaneität nicht vorgesehen war, heiß diskutiert. Lösungsvorschlag: nur noch im Uhrzeigersinn rennen. Das sei auch spiritueller, da schamanisch korrekt. Freiwillige Verkehrspolizisten könnten das in Zukunft regeln. Ich komme trotzdem wieder.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Anke Richter ist Wahrheit-Kolumnistin, Buch-Autorin und Mitglied von Weltreporter.net in Neuseeland. Zuletzt erschien von ihr die Auswanderersatire "Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern - Eine Verwandlung" (Kiepenheuer & Witsch).

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.