Erinnerung an Whistleblower: Zensierter wird Chinas KP-Held
In Wuhan warnte Li Wenliang als erster vor dem neuen Coronavirus. Dem Arzt wurde das verboten und er starb. Jetzt dient der Tote der Ehre der KP.
Als „Whistleblower-Arzt“ erlangte der 33-Jährige internationale Berühmtheit. Dabei wäre die Zuschreibung couragierter Bürger wohl treffender. Denn letztendlich hatte Li nur seine Studienkollegen aus der Universitätszeit warnen wollen: In einer privaten Wechat-Gruppe schrieb er, dass sich in seinem Krankenhaus Patienten mit Sars-ähnlichen Symptomen häufen würden, und riet zur Vorsicht. Wochen, bevor die Behörden die Existenz des neuen Lungenerregers zugaben, schien Ärzten der Stadt die Ernsthaftigkeit der Lage bereits klar.
Doch als Li Wenliangs Warnung von einer unbekannten Person verbreitet wurde, lud ihn der Sicherheitsapparat zum Gespräch und zwang ihn, ein sogenanntes Schweigeabkommen zu unterzeichnen. Zudem wurde gegen Li wie einen gewöhnlichen Kriminellen ermittelt. Strafbestand: „Verbreitung von Gerüchten.
Ihn nun zum Freiheitskämpfer hochzustilisieren, wegen dessen Taten die Coronapandemie weltweit hätte verhindert werden können, greift zu kurz. Denn wer in Wuhan mit Bürgern spricht, erfährt schon bald, dass nicht wenige Chinesen längst von dem Lungenerreger wussten, ehe der Zensur die Information für die staatlich kontrollierten Medien freigab. Nur wenige trauten in jenen Tagen dem offiziellen Narrativ.
Gescheiterte Vertuschung
Als wahrscheinlich gilt, dass die Behörden nach Aufkommen des Coronavirus zunächst mauern wollten und hofften, das Problem unter den Teppich kehren zu können – aus Angst vor negativen Auswirkungen auf die eigenen Parteikarrieren.
![](https://taz.de/picture/4668051/14/26763916-2.jpeg)
Li jedoch infizierte sich bei der Behandlung von Coronapatienten und erlag am 7. Februar dem Virus. Nach seinem Tod entlud sich all der Frust in den sozialen Medien – umso mehr noch, da viele Kommentare zunächst von der Zensur gelöscht wurden. Unter einem Hashtag forderten Tausende Nutzer Pressefreiheit, andere sprachen von der Verlogenheit des Systems.
Nachhaltig war der Aufschrei jedoch nicht. Langjährigen China-Beobachtern war klar, dass die Wut allmählich abebben würde. Dabei gab es eine unerwartete Wendung: Anstatt Berichte über Li weiter zu zensieren, wurde er vielmehr von der offiziellen Propaganda einverleibt. Die Staatsführung verlieh ihm Medaillen und erklärte ihn zum „Held der Nation“ – stets mit der Betonung darauf, dass er ein Mitglied der Kommunistischen Partei sei. Durch diesen Spin konnte sie Li Wenliang quasi für ihre Zwecke nutzen.
Heldengeschichte lässt keinen Platz für Kritik
An einer aufrichtigen Aufklärung ist die Staatsführung keineswegs interessiert: Offiziell nämlich stilisiert Staats- und Parteichef Xi Jinping Chinas Kampf gegen Covid zur reinen Heldengeschichte hoch, die keinen Platz für Kritik und Selbstreflexion lässt. Wer Zweifel daran sät, bekommt die Härte der Staatsmacht zu spüren.
Die 37-jährige Videobloggerin Zhang Zhan, die zu Beginn des letzten Jahres die chaotische Realität Wuhans mit der Kamera ihres Smartphones dokumentiert hat, wurde unlängst zu vier Jahren Haft verurteilt. Zwei weitere Bürgerjournalisten befinden sich nach wie vor in Hausarrest. Und von Fang Bin, dessen heimliche Aufnahmen aufgestapelter Leichen vor einem Krankenhaus in Wuhan von Fernsehsendern weltweit ausgestrahlt wurden, fehlt bis heute jede Spur.
Und auf einer offiziellen Ausstellung in Wuhan über die Covidpandemie heißt es, man habe den Kampf gegen sie „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ eingeleitet. Dass Li Wenliang hingegen zum Schweigen verdonnert wurde, wird mit keinem Wort erwähnt. Sein zweiter Sohn kam im Juni 2020 zur Welt, vier Monate nach seinem Tod.
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