piwik no script img

Ein zarter Versuch

In Bremen fördert der Senat ein Klubprojekt, das den Beschäftigten der Branche wieder Arbeit verschaffen soll. Nicht alle können teilhaben. Und: Erst mal kann nur gestreamt werden

Einst Ort des gepflegten Absturzes: die „Absinth-Bar“ in der Hamburger Sternschanze Foto: Miguel Ferraz

Aus Bremen Alina Fischer

Knapp 15 Meter hoch sind die Decken der großen Industriehalle, Scheinwerfer beleuchten die leere Bühne. Bis zu 2.800 Leute passen in das „Pier 2“, eines der größten Veranstaltungszentren in Bremen direkt an der Weser. Bis Ende Mai ist hier der temporäre „Club100“ untergebracht.

Geplant sind Konzerte und Lesungen, die Auftaktveranstaltung fand vergangene Woche statt – ohne Live-Publikum. Erst mal wird nur gestreamt. Das ginge zwar auch aus einem deutlich kleineren Raum, perspektivisch sollen jedoch bis zu 521 Zu­schaue­r:in­nen bei Veranstaltungen live dabei sein können – sobald es die ­Coronaverordnung wieder zulässt.

Schon zu Beginn der Krise habe es Gespräche mit Bremens Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Die Linke) gegeben, wie man die vielen kleinen Klubs, Ver­an­stal­te­r:in­nen und Kollektive unterstützen könne, sagt von Julia von Wild. Sie ist im Vorstand von Clubverstärker e. V., einem Verein, der Bremens Veranstaltungs- und Klubszene vernetzen will und den Club100 maßgeblich vorangetrieben hat. Mit 1,1 Millionen Euro wird das Projekt nun vom Senat gefördert. Damit sind die laufenden Kosten gedeckt.

Im vergangenen Jahr hatte Clubverstärker e. V. außerdem Geld von der Stadt bekommen, um eine Geschäftsstelle aufzubauen, die sich um Popkultur und Musik kümmern soll. Es ist auch der Versuch eine Art Lobby aufzubauen, um Interessen besser vertreten zu können. „Klubs sind Kultur-Orte, die das Lebensgefühl ganzer Generationen prägen und weiterentwickeln“, sagt von Wild. Bisher sei in Bremen noch kein Klub insolvent gegangen. Es sei aber auch völlig klar, dass es ohne finanzielle Hilfen von Stadt, Land und Bund nicht zu schaffen sei.

Streams aus leeren Klubs – das gab es in Bremen schon im ersten Lockdown. Das Projekt „United We Stream Bremen“ (UWS Bremen), Ableger einer Berliner Ini­tiative, bot plötzlich arbeitslos gewordenen DJs und Ver­an­stal­te­r:in­nen die Möglichkeit, ihre Musik live im Internet darzubieten. Auch der Verein Kultur im Bunker e. V., seit Jahren in der alternativen Klubszene Bremens aktiv, organisierte einen der Streams. Neben Musik gab es Kunstperformances zu sehen. „Es war cool, dass auf einmal viele verschiedene Ak­teu­r:in­nen zusammengearbeitet haben und sich echt coole Ideen entwickelt haben“, sagt jemand aus dem Verein über das Streaming-Projekt. „Aber viele Kulturschaffenden haben da sehr viel Gratisarbeit geleistet, obwohl sie eh schon in prekären Situationen leben.“ Viele seien selbstständig mit geringem Einkommen.

Das hat die Selbstausbeutung gefördert. 7.000 Euro Spenden gingen bei UWS Bremen bis heute ein. 60 Prozent fließen in Projekte gegen sexualisierte Diskriminierung sowie in Projekte für Geflüchtete. Der Rest wird solidarisch unter den Kulturorten aufgeteilt, die es am dringendsten benötigten.

Der Club100 geht nun einen anderen Weg. Die virtuellen Be­su­che­r:in­nen müssen Tickets kaufen. Die kosten circa halb so viel wie ein normales Ticket. „Dass sich da etwas ändert, dass im Internet alles umsonst ist“, sei wichtig, sagt die Wirtschaftssenatorin. Im Senat hatte sie sich sehr für die Veranstaltungsbranche eingesetzt. Das Land Bremen sei ohne eine vielfältige Kulturszene nicht denkbar.

Auch Immo Wischhusen hatte sich auf einen der Plätze im Klubprogramm beworben. Seit fünf Jahren betreibt der Musiker das Outdoor-Projekt „Die Komplette Palette“ in Bremen-Hemelingen. Er organisiert Konzerte, Bar-Abende, Lesungen. Bei der Auswahl seines Programms setzt er auf unbekanntere Künstler:innen. Sein Antrag wurde abgelehnt. „Ich passte nicht in die Spielregeln“, sagt er. Die Veranstaltungsreihe sei leider auf große Namen ausgelegt.

Werden also in der Krise nur die gefördert, die ins publikumswirksame Konzept passen? Fakt ist, dass Menschen verschiedenster Gewerke durch die Förderung des Projekts Club100 wieder arbeiten können – zumindest ein bisschen. Und das sei neben dem finanziellen Aspekt so wichtig, sagt Clubverstärker-Vorständin von Wild. Die Arbeit habe ja auch mit Idealismus zu tun.

Dem stimmt auch Wischhusen zu. Die Rettung sieht er in den Streams trotzdem nicht. Das Internet sei schließlich voll mit kostenlosem Content. Und auch bei „United We Stream Bremen“ hatte die Resonanz mit der Zeit erheblich abgenommen.

Ohnehin kann der Club100 nur 25 von 40 Veranstaltungen streamen, mehr gibt das Budget nicht her. „Wir arbeiten dran“, sagt Julia von Wild.

Die Solidarität, die innerhalb der Szene zum Vorschein gekommen ist, empfinden die Kulturschaffenden als positiv überraschend. Klubs sind nicht nur Vergnügen, sondern auch ein Ort des menschlichen Zusammenkommens. Ein Ort, an dem Kultur gelebt wird und Neues entstehen kann.

Eine Zukunft ohne Klubs möchte sich kei­ne:r vorstellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen