piwik no script img

Sichtbar hinterm Absperrband

Als „Artist in Quarantine“ bespielt Medienkünstlerin Naho Kawabe trotz Lockdown den Hamburger Off-Raum „nachtspeicher23“: Ihre Installationen sind von draußen vom Bürgersteig aus durchs Schaufenster zu betrachten. Sie spielen mit Bewegung – und festlichen Farben

Von Frank Keil

Der eine Motor funktioniert. Der andere nicht. Vielleicht sind es die Kontakte. Jedenfalls drehen sich die Achse und der daraufgesetzte kleine, herausragende Stift nicht wie sie sollen, es rührt sich einfach nicht. Und es liegt nicht an der Stromleiste an der Decke, in die die beiden Motoren gesteckt werden, die funktioniert, führt Strom.

Naho Kawabe hat alles ausprobiert, manchmal kopfüber, die Decken im Kunstraum „nachtspeicher23“ sind nicht gerade niedrig. Ist immer wieder die dreistufige Klappleiter hinauf und wieder herunter geklettert, ist die paar Schritte zum Sicherungskasten gegangen, hat die Hauptsicherung erst aus- und dann wieder eingeschaltet, doch der eine Motor bleibt stumm.

„# ARTIST IN QUARANTINE“ steht in weißen Blockbuchstaben auf einem schwarzen Schild im Fenster und dann folgt ihr Name. Naho Kawabe eröffnet das diesjährige „nachtspeicher23“-Jahr, wobei es ebenso eine Ausstellung ist wie es keine ist. Denn derzeit darf man den Off-Raum aus bekannten Gründen nicht betreten. Doch die „nachtspeicher23“-Crew hat sich entschlossen, ihren Kunstraum nun nicht einfach abzuschließen und leer zu lassen, sondern hat die Künstlerin eingeladen, ihn bis zum letzten Januartag zu nutzen: zum Arbeiten, zum Ausprobieren, auch zum Schauen, von draußen, vom Bürgersteig dann hinein in den abgesperrten Raum. Für danach ist für jeden Monat je eine Ausstellung geplant – bisher. Denn niemand schließlich, wie das Jahr weitergeht und wann KünstlerInnen geimpft werden.

Naho Kawabe hat erst mal gute Laune. „Ich arbeite gern mit Installationen“, sagt sie. Zeigt auf die zwei kleinen Motoren, die sie in den Händen hält; weist auf die und auf das rot-weiße Absperrband, das sich bereithält, breites Plastikband, wie man es von den Absperrungen von Spielplätzen oder Parkbänken beim ersten Lockdown kennt oder von Unfallorten, wo es flattert, bevor die Scherben zusammengekehrt sind. „Rot und weiß gelten in Japan als festliche Farben“, sagte sie.

Die Idee ist: von der Decke herab hängen zwei Absperrbandstreifen, die sich je mittels eines Motors langsam drehen, gemächlich kreiseln. Und die, während sie über den Boden ziehen, in je eine plane Fläche aus Kohlestaub ein vorgegebenes Muster zerstören und zugleich ein neues Muster bilden: eine Kohle-Installation. Und wenn Ergebnis wie Prozess überzeugend sind, vorwärts führend, dann ließe sich der Aufbau ja an anderer Stelle gut wiederholen, wenn man wieder richtig ausstellen kann: „Wobei die Frage ist, was eine richtige Ausstellung ist“, sagt sie.

Naho Kawabe kam 2001 nach Deutschland. Zuvor hatte sie in Tokio Medienkunst studiert und sich entsprechend als Video-Künstlerin erprobt und etabliert. In Hamburg dann folgt ein nächstes Studium: „Freie Kunst“ beim im Fluxus zu verortenden Claus Böhmler an der HfBK am Lerchenfeld. Entsprechend erweitert sie ihr künstlerisches Formenrepertoire. Sie zeichnet, gestaltet, arbeitet raumgreifend, greift aber ebenso immer wieder auf den fokussierten Film und eben ­Video zurück.

Und schließlich fängt sie an, mit Kohle zu arbeiten, schüttet Kohlestaub zu Bildern aus Mustern, aus Flächen und Linien; aus Auslassungen auch, aus Schwarz und Weiß. Was, wie sie erst später entdecken wird, auch einen galanten familiengeschichtlichen Hintergrund hat: einer ihrer Großväter strebt eine Karriere in einer örtlichen Kohlemine an, begann das erforderliche Förderhandwerk zu erlernen. „Aber in Japan Kohle zu fördern, erwies sich als zu teuer und man ging dazu über, Kohle zu importieren“, erzählt sie. Und ihr Großvater sattelte um auf Geografielehrer.

Fast 50 Minuten lang zeigt das Video, wie Frauenhände Kohlestücke zu kompakten Bündeln schnüren

Es gibt von ihr eine wirklich schöne Videoarbeit, in der sich ihre Vorliebe für das Material wie Sujet Kohle, aber eben auch ihr Interesse an individuellen Übertretungs- und Begegnungsgeschichten zusammenfügen: „Eine echte Frau löst jeden Knoten“ von 2018. Dabei passiert zunächst das Gegenteil: Wir schauen fast 50 Minuten lang zu, wie zwei Frauenhände Kohlestücke zusammenbinden, bis daraus am Ende ein kompaktes Kohlebündel geschnürt ist. Und während man zusieht, wie geschickt die unbekannte Frau Kohlestücke unterschiedlicher Größe und Länge zusammenfasst, entfaltet sich eine dahinterstehende Geschichte, denn dann und wann kommt aus dem Off eine Frauenstimme dazu, spricht zwei, drei Sätze, bevor sie wieder schweigt.

Langsam – immer wieder geht es um Naho Kawabe – entwickelt sich die Erzählung einer Tochter, die von ihrer Mutter berichtet und davon, wie diese ab 1957 vornehmlich zu Weihnachten viele kleine Pakete schnürte, um so Kaffee, Kakao und Schokolade zu Freundinnen in der damaligen DDR zu schicken. Und wir werden auch erfahren, wie die Mutter zuvor, da ist die berichtende Tochter noch lange nicht auf der Welt, auf riskante Weise selbst dieses Land verließ und nach Westdeutschland ging – eine deutsch-deutsche Flucht- und Migrationsgeschichte.

„Nachtspeicher“, sagt Naho Kawabe, lacht und zeigt auf den langen, weißen und namensgebenden Kasten, der unterhalb des Schaufensters steht und Wärme abgibt. Die Nacht speichern – eine interessante, aber auch irgendwie rätselhafte Idee. Und hört dann gespannt zu, was der Nachtspeicher seinerseits für eine Geschichte zu erzählen hat: vom einstigen Siegeszug der Idee der Atomenergie, auf dass Strom ohne Ende des Nachts in die Nachtspeicherheizungen aller Häuser der Stadt eingespeist werden solle. Zuvor hatte man die Kohleöfen entfernt und die Kamine und Schornsteine verschlossen und versiegelt. Die Kohle war als allgemeiner Energieträger aus dem privaten Leben verschwunden.

Aber jetzt muss sie los, irgendwie diesen nicht funktionierenden Motor zum Laufen bringen, ihn so richtig auseinanderschrauben. Das geht in ihrem Atelier doch besser als hier; da hat sie mehr Ruhe, einen Tisch mit mehr Platz und vor allem das bessere Werkzeug – offenbar mit Erfolg: Ihre letzten Instagram-Bilder zeigen den aufgeräumten Raum, alles ist an seinem Platz, die Zeichen weisen auf Start.

Off-Raum „nachtspeicher23“: Lindenstraße 23, in Hamburg-St. Georg. Naho Kawabe ist dort bis zum 31. 1. tätig, ihre Arbeit kann durch das Schaufenster betrachtet werden; ihre Arbeiten sind zu sehen auf: www.nahokawabe.net

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen