Selbstabschaltende Diesel-Software: Volkswagen droht neuer Rückruf

Der Europäische Gerichtshof stellt sich gegen Volkswagen. Damit werden Abschaltanlagen für Diesel-Abgase künftig wohl noch strenger gehandhabt.

Nahaufnahme eines Auspuffs vor dem VW Werk in Wolfsburg

Der EuGH hat in einem Strafverfahren gegen Volkswagen entschieden – es drohen neue Rückrufaktionen Foto: Jan Huebner/Voigt/imago

In einem Strafverfahren gegen Volkswagen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag gegen den Auto­mobilhersteller entschieden. Dem­nach darf in einem Motor die Abgasreduzierung nur abgeschaltet werden, um dort Schäden zu vermeiden. Die damit formulierten hohen Anforderungen an solche Abschaltmechanismen könnten nun zu neuen Rückrufaktionen bei Millionen von Dieselfahrzeugen führen.

In Frankreich läuft seit dem Bekanntwerden der Schummelsoftware von VW im Herbst 2015 ein Strafverfahren wegen „schwerer Täuschung“ der Verbraucher. Laut französischem Verbraucherschutz-Gesetzbuch droht VW eine Geldstrafe von bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes. Die Schummelsoftware hatte dafür gesorgt, dass die Abgasreduzierung nur arbeitet, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand steht. Deshalb konnten die gesetzlichen Grenzwerte im Normalbetrieb nicht eingehalten werden. Betroffen waren rund 950.000 Fahrzeuge des VW-Konzerns.

VW berief sich seinerzeit auf eine Ausnahmeregelung in der EU-Verordnung. Demnach ist die Abschaltung von Maßnahmen der Abgasreduzierung grundsätzlich verboten. Ausnahmsweise sind solche Abschalteinrichtungen nur erlaubt, „um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen“. VW argumentierte, auch der Schutz des Motors vor Verschmutzung und die Verzögerung von Verschleiß fielen darunter. Ein Pariser Gericht hatte diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Was passiert mit bestehenden Abschalteinrichtungen?

Der EuGH hat die Argumentation von VW nun klar abgelehnt. Der Schutz vor Verschmutzung und Verschleiß des Motors kann eine Abschaltung der Abgasreduktion im Normalbetrieb nicht rechtfertigen. Sonst wäre das Verbot von Abschaltvorrichtungen in „seiner Substanz entleert“, so die Richter. Die Abgasreduktion darf deshalb nur abgeschaltet werden, um „den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen“, die unmittelbar zu einer „konkreten Gefahr während des Betriebs des Fahrzeugs führen“.

In Deutschland ist nach dem Urteil eine Diskussion darüber entbrannt, ob mit diesen strengen Anforderungen nicht nur die VW-Schummelsoftware für illegal erklärt wurde, sondern auch sogenannte Thermofenster, die viele Dieselhersteller verwenden. Sie führen dazu, dass die Abgasreduktion nur bei mittleren Temperaturen funktioniert, bei Kälte aber abgeschaltet wird. Das Kraftfahrbundesamt hatte 2015 ein Software-Update angeordnet, das Thermofenster bestehen ließ.

VW hat seine Argumentation bereits den neuen Anforderungen angepasst und behauptet nun, die Thermo­fenster schützten die Motoren vor plötzlichen und unerwartet auftretenden Schäden. Ob dies stimmt, müssen neue Sachverständigengutachten klären. Möglicherweise kommen auf VW aber neue teure Rückruf- und Nachbesserungspflichten zu.

Anwälte sehen zudem eine neue Klagewelle von Dieselkäufern auf die Hersteller zurollen. Sie suchen neue Betätigungsfelder, auch weil der Bundesgerichtshof an diesem Donnerstag entschied, dass Klagen wegen der VW-Schummelsoftware spätestens Ende 2018 erhoben werden mussten und spätere Klagen verjährt sind (Az.: VI ZR 739/20).

Schadenersatzklagen wegen des Thermofensters werden aber nur erfolgreich sein, wenn es gelingt, VW und anderen Herstellern „sittenwidrige“ Absichten nachzuweisen. Das war bei der Schummelsoftware, die nur auf dem Prüfstand funktionierte, leichter als beim Thermofenster, das die Abgasreduktion bei kalten Temperaturen abschaltet.

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