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Panikattacken auf dem platten Land

Auftakt für eine neue Krimireihe? In seinem Regiedebüt „Sörensen hat Angst“ spielt Bjarne Mädel einen Hamburger Kommissar, der sich wegen einer Angststörung in die norddeutsche Provinz versetzen lässt. Dort erhofft er sich Ereignislosigkeit, aber es kommt anders

Handfeste Gründe, so richtig Angst zu bekommen, findet Bjarne Mädel als Sörensen schnell Foto: NDR/Michael Ihle

Von Wilfried Hippen

Zuerst sieht man die Panik in seinen Augen. Dass Sörensen Angst hat, das sieht man in der extremen Nahaufnahme seines Blickes, mit der der Film beginnt, sofort. Dabei fährt er nur mit seinem Auto auf einer Elbbrücke aus Hamburg heraus. Aber die Angst braucht keinen Anlass, mit ihr blickt er ständig auf die Welt. Wegen seiner Angststörung war der Kriminalhauptkommissar zwei Jahre lang krankgeschrieben. Nun beginnt er seinen Dienst in einem kleinen Kaff an der friesischen Küste. Denn in Katenbüll passiert nicht viel – so denkt er zumindest. Doch er ist noch keine halbe Stunde im Dienst, als der Bürgermeister erschossen aufgefunden wird. Und bald hat auch Sörensen gute Gründe, sich zu fürchten.

In deutschen Fernsehkrimis gibt es eine ganze Reihe von überqualifizierten Polizist*innen, die in die Provinz gehen oder geschickt werden. In der Serie „Nord bei Nordwest“ lässt sich etwa Hinnerk Schönemann als ehemaliger LKA-Ermittler aus Hamburg in einem Küstenort in Schleswig-Holstein als Tierarzt nieder, weil er von der Mafia verfolgt wird. Und in „Mord mit Aussicht“ spielte Caroline Peters eine Kölner Kriminalhauptkommissarin, die sich bei ihren Vorgesetzten so unbeliebt machte, dass sie in ein Dorf in der Eifel mit dem schönen Namen Hengasch versetzt wurde. In dieser erfolgreichen Serie spielte Bjarne Mädel einen phlegmatischen Dorfpolizisten. In „Sörensen hat Angst“ ist nun er der Stadtmensch unter den Landeiern. Besonders originell ist die Konstruktion des Drehbuchs von Sven Stricker also nicht.

Doch während die Vorläufer eher als Kriminalkomödien inszeniert wurden, bei denen kauzige Dorfbewohner*innen für gute Laune sorgten, meinen Sven Stricker und Bjarne Mädel es ernst. „Sörensen hat Angst“ ist alles andere als ein „Schmunzelkrimi“. Es gibt zwar auch hier ein paar schöne Lacher (wenn etwa die Dorfpolizistin auf ihr „Recht auf Labskaus“ besteht), aber sowohl die Angststörung wie auch das aufzuklärende Verbrechen werden mit einem grimmigen Realismus dargestellt, der eher in der Tradition der Nordic Noir aus Skandinavien steht.

Anders als die meisten Provinzkrimis ist „Sörensen hat Angst“ kein Schönwetterfilm. Das Wetter ist nasskalt, der Boden matschig. Kein Wunder, dass Sörensen kaum aus seinem alten Parka herauskommt

Sven Stricker hat mehr als 50 Hörspiele nach literarischen Vorlagen adap­tiert und inszeniert. Darunter auch elf Wallander-Krimis von Henning Mankell. Dessen Einfluss wird bei „Sörensen hat Angst“ nicht nur beim Finale deutlich. Die Auflösung der Morde folgt einem für Mankells Romane typischen Muster. Denn auch hier werden die Täter zu Opfern und die Opfer zu Tätern.

Im Hörspielstudio arbeitet Sven Stricker schon seit vielen Jahren mit Bjarne Mädel zusammen. Die Rolle des ängstlichen Kommissars hat er für ihn maßgeschneidert. „Sörensen hat Angst“ wurde schon 2015 als Roman veröffentlicht. 2018 produzierten die beiden zusammen eine Hörspielfassung, die in der ARD-Audiothek verfügbar ist. Beiden ist der Stoff also vertraut, Bjarne Mädels Regiedebüt wirkt so gut abgehangen.

Dass er als Schauspieler etwa seine Kollegen Matthias Brand und Peter Kurth, die zwielichtigen Honoratioren des Dorfes, geheimnisvoll und bedrohlich wirken lassen kann, ist da keine große Überraschung. Aber er kann auch filmisch erzählen, wenn er etwa die Perspektive wechselt und immer wieder die Realität in die Angstwelt verkehrt, in der Sörensen leben muss. Da arbeitet der Kameramann Kristian Leschner dann mit extrem wenig Tiefenschärfe, sodass ein Tunnelblick entsteht, der die Realität nur schemenhaft und dadurch bedrohlich erscheinen lässt.

Das fiktive Dorf Katenbüll hat Sven Stricker zwar in Nordfriesland angesiedelt, doch da Sörensen zu Beginn des Films über die Elbe fährt, muss es im Film in Niedersachsen liegen. Der eigentliche Grund dafür ist, dass die NDR-Produktion von der Nordmedia- Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen gefördert wurde, und deshalb auch dort realisiert werden musste. Gedreht wurde in Varel, Butjadingen, Rastede, Jade und Bremerhaven.

Auf dem Land passiert ja eh nicht viel, denkt sich der angstgeplagte Sörensen – aber denkste Foto: NDR/Michael Ihle

Die Drehzeit lag kurz vor dem ersten Corona-Lockdown. Seltsam nur, dass Katenbüll trotzdem aussieht, als wäre es unter einem Lockdown: Die Straßen sind menschenleer, die Dorfbewohner*innen bewegen sich kaum aus ihren Häusern heraus, und nur selten kommen sie sich näher als 1,5 Meter.

Anders als die meisten Provinzkrimis ist „Sörensen hat Angst“ kein Schönwetterfilm. Das Wetter ist nasskalt, der Boden matschig, der Ort ist unwirtlich. Kein Wunder, dass Sörensen kaum aus seinem alten Parka und schon gar nicht aus seinem dicken Troyer herauskommt. Mit „Sörensen fängt Feuer“ hat Sven Stricker schon eine Fortsetzung geschrieben, hier könnte also eine neue norddeutsche Krimireihe entstehen.

Sörensen hat Angst. D 2021. Regie: Bjarne Mädel. Mit Bjarne Mädel, Katrin Wichmann, Matthias Brandt u. a., 88 Minuten; die NDR-Produktion läuft am Mi, 20. 1. um 20.15 Uhr im ARD-Fernsehen und kann anschließend auch in der ARD-Mediathek angesehen werden

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