Volle Schulhöfe erwünscht

Alle Grundschüler*innen sollen in Bremen ab Montag zur Schule gehen – die Bildungssenatorin befürchtet, dass sie sonst nicht ausreichend Bewegung und soziale Kontakte bekommen. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft verurteilt das scharf

Ein Bild aus einer anderen Zeit: Spielen und Toben auf dem Pausenhof, ganz ohne Maske und Abstand Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Von Lotta Drügemöller

Für „sehr mutig“ hält die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Bremer Bildungssenatorin. Als Lob gemeint ist das aber nicht: Claudia Bogedan (SPD) tanze „politisch, pädagogisch und epidemiologisch auf sehr dünnem Eis“, befindet die GEW Bremen und Bremerhaven in einer Mitteilung. Mit ihrer Haltung zum Schulbesuch unterlaufe sie die Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz und riskiere wieder steigende Infektionszahlen.

Die Schulen bleiben in Bremen geöffnet, auch Unterricht findet statt, es gibt allerdings keine Präsenzpflicht. So weit, so Kompromiss: Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte vergangene Woche zwar eigentlich Schulschließungen bis Ende Januar beschlossen, doch auch einige andere Bundesländer, darunter Niedersachsen, haben die Regel ähnlich frei ausgelegt.

Bogedan geht allerdings noch einen Schritt weiter: Gegenüber des Regionalmagazins Buten un Binnen hatte die Bildungssenatorin am vergangenen Donnerstag ausdrücklich empfohlen, alle Kinder bis zur sechsten Klasse in die Schule zu schicken. Den Kindern fehlten sonst Bewegungsangebote und der soziale Kontakt; auch mögliche Gewalt in manchen Familien will die Behörde über den Präsenzunterricht auffangen.

Elke Suhr, Sprecherin der GEW Bremen und Bremerhaven, hält die Strategie für gewagt. „Es gibt die Ansage, möglichst wenig Kontakte zu haben“, sagt sie. „Und dann will die Senatorin möglichst alle Grundschüler einer Klasse zusammenstecken? Das ist doch absurd.“ Sie selbst ist seit den ersten Erfahrungen aus der Pandemie eigentlich eine große Befürworterin von Halbgruppen. „Aber momentan wäre es epidemiologisch wahrscheinlich sogar am besten, ganz radikal auf Präsenzunterricht zu verzichten, zumindest bis Ende Januar.“

Auch die Grünen haben sich mittlerweile zu Wort gemeldet: „Wir halten die Aufforderung der Bildungssenatorin an Eltern, ‚alle Kinder‘ in die Schule zu schicken, in der aktuellen Situation für falsch“, schreibt der Landesvorstand. Oberste Priorität müsse es weiterhin sein, die Infektionszahlen zu senken.

Die Bildungsbehörde verteidigt das Vorgehen – immerhin habe Bremen eine entspanntere Coronalage als viele andere Länder, so die Senatorin. Tatsächlich liegt der Inzidenzwert deutschlandweit aktuell bei 164, Bremen steht bei nur 83. Als Risikogrenze gelten allerdings 50 Neuinfektionen auf 100.000 Menschen innerhalb einer Woche. Dieser Wert ist auch in Bremennoch nicht erreicht.

Zusätzlich will man in der Schulbehörde deshalb mit Tests für Sicherheit sorgen: Seit Donnerstag können sich alle Schüler*innen einmalig auf Corona testen lassen, für Lehrkräfte gibt es ohnehin Tests. „Ich halte das im Prinzip für eine sehr, sehr gute Idee“, erklärt F., Lehrerin einer Grundschule im Bremer Süden, die lieber anonym bleiben möchte. „Aber bei einer so teuren und guten Sache wäre es doch gut, wenn sie auch verpflichtend ist.“ Und das ist sie eben nicht: Wer zum Unterricht kommen möchte, kann das unabhängig davon tun, ob es nun ein negatives Testergebnis gibt oder nicht.

Dazu kommt: Für Grundschüler*innen werden die Tests laut Bildungsbehörde direkt an den Schulen durchgeführt, Testteams kommen dafür in die Einrichtungen. Wenn dann allerdings zwei Tage später die Ergebnisse vorliegen, können sich die Schüler*innen längst im Unterricht getroffen haben. Die Behörde hält die Tests trotzdem weiter für sinnvoll: Man wolle in der Übergangswoche einfach einen Überblick über die Pandemielage bekommen. „Es ist eine Momentaufnahme, die beiträgt zur Sicherheit“, so die Bogedans Sprecherin, Annette Kemp.

„Alle Grundschüler einer Klasse zusammen? Das ist doch absurd“

Elke Suhr, GEW

Für Suhr von der Gewerkschaft kommt über den Präsenzunterricht aber nicht nur ein Pandemie-, sondern auch ein Gerechtigkeits- und ein organisatorisches Problem zustande: „Es ist einfach nicht möglich, zeitgleich Präsenzunterricht und Digitalunterricht vorzubereiten“, sagt sie. Wenn der Präsenzunterricht zum Standard erklärt werde, könne es also für diejenigen, die doch zu Hause bleiben, keinen adäquaten Ersatz geben.

Kemp sieht darin kein Problem; auch vor Weihnachten habe es schon Unterricht in Halbgruppen oder im Wechsel-Unterricht gegeben. Allerdings ist Wechselunterricht ja gerade nicht allgemein angekündigt: Grundschullehrerin F. geht davon aus, ab nächster Woche regulär von 8 bis 13 Uhr den Teil ihrer Klasse zu unterrichten, der in die Schule kommt. Für alle anderen gibt es Arbeitsblätter nach Hause, die das Kollegium gemeinsam ausgearbeitet hat. „Die bringen uns die Kinder dann einmal in der Woche zurück und wir korrigieren uns die Finger wund.“ Ein Nachteil müsse der Unterricht aus der Ferne so nicht unbedingt sein – ein großes Stück mehr Aufwand für die Lehrer*innen sei es aber auf jeden Fall.

Wie viele Eltern ihre Kinder nächste Woche tatsächlich in die Schule schicken werden und wie viele sie lieber zu Hause lernen lassen, ist zentral noch gar nicht bekannt. „Es laufen Abfragen“, so Kemp. Zahlen habe man aber erst nächste Woche, bis zur Rückmeldung dauere es nun eben ein wenig: „Die Schulleiter und Lehrkräfte haben wahnsinnig viel zu tun, wir muten ihnen viel zu.“

Neben der Kritik hat Suhr noch einen Wunsch: „Besser wäre schon mal alles, wenn jetzt wenigstens ein mittelfristiger Plan bis zu den Osterferien entwickelt würde. Zur Zeit habe ich das Gefühl, dass die Senatorin ausschließlich auf die Hoffnung setzt, dass die Zahlen weiter runtergehen.“ So etwas wie die Mutation aus England werde gar nicht mitgedacht.