corona in hamburg: „Noch mehr Einsamkeit dieses Jahr“
Stephan Karrenbauer 58, ist Leiter der Sozialarbeiter bei Hinz&Kunzt.
Interview Lissy Malethan
taz: Stephan Karrenbauer, was bedeutet Weihnachten für Obdachlose in Zeiten der Pandemie?
Stephan Karrenbauer: In jedem Jahr bedeutet Weihnachten ganz viel Einsamkeit, dieses Jahr noch mehr. Es können keine Veranstaltungen wie ein gemeinsames Essen und Fest stattfinden.
Gibt es trotzdem eine warme Mahlzeit?
Mit Sicherheit. Die Tagesaufenthaltsstätten haben aber bis heute nicht ihr volles Programm wieder aufgenommen, oft reichen die Quadratmeter nicht aus, um alle Obdachlosen zu bedienen. Eine Organisation will vor Weihnachten noch Container im Hinterhof aufstellen, sodass zumindest die gleiche Anzahl an Menschen bedient werden kann wie vor der Pandemie. Aber nicht jede Einrichtung hat die Möglichkeit mal eben 22 Container in ihrem Hinterhof aufzustellen. Die Einrichtungen werden aber selbst Sachen für die Leute in ihrem Haus machen.
Werden die Veranstaltungen kommendes Jahr wieder stattfinden?
Ja, ganz sicher. Wir haben viele Gastronomen, die unter dem Ausfall leiden und sich ärgern, nichts an Weihnachten für die Obdachlosen machen zu können.
Sie bringen selbst Obdachlose in Hotels unter. Wie finden die Hotels das?
Die Hotels, die wir haben, sind begeistert dabei. Man muss aber erst mal Hotels finden, die Obdachlose aufnehmen. Wir bekommen auch Sonderpreise. Pro Einzelzimmer zahlen wir nächtlich rund 31 Euro. Das klingt viel, aber die Hotels haben ja auch ihre Kosten. Teilweise sind das halbierte Preise. Das Schöne ist, dass sie sehr offen gegenüber den Bewohner*innen sind. Sie kennen nur das Wort Gast und genau so verhalten sie sich auch. Wenn diese Offenheit und Bereitschaft nicht wäre, dann würde das ganze Projekt nicht gut laufen.
Wer zahlt das?
Wir haben eine große Spende vom Zigarettenkonzern Reemtsma bekommen. Das wurde zwischen Alimaus und uns gleich aufgeteilt. Aber auch andere, kleine Initiativen haben Geld gesammelt und Obdachlose in Hotels untergebracht. Letzte Woche haben wir zusammen die Zahl von 120 Personen erreicht.
Was wünschen sich Obdachlose zu Weihnachten?
Ein Stück Normalität. Dass sie in die Einrichtungen gehen können, die sie kennen. Dass sie nicht vor der Tür stehen müssen und wenn sie Lust haben, sich dort die ganze Zeit aufhalten können. Den großen Wunsch von einer langfristigen Wohnung haben leider schon viele vergessen und glauben nicht mehr dran. Deshalb ist der erste Wunsch das, was vor der Pandemie da war, nicht auch noch zu verlieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen