Norddeutsche Theater im Lockdown: Trübe Aussichten

Die Theater im Norden gehen ganz unterschiedlich mit dem Lockdown um. Und wissen schon jetzt, dass 2021 viele Schwierigkeiten warten.

Mit Holzbrettern sind die Zugänge am Haupteingang zum Deutschen Theater in Göttingen zugestellt.

Schotten dicht: Lockdown-Kunstaktion am Deutschen Theater in Göttingen Foto: dpa / Swen Pförtner

BREMEN taz | Verbarrikadiert ist das Deutsche Theater Göttingen. Ein Zaun aus Sperrholzplatten sichert das Neorenaissance-Gebäude ab. Eine Kunstaktion gegen die zumindest bis 10. Januar erzwungene Schließung.

Die Mitarbeiter wollen wahrgenommen werden, jeden Tag von 17.45 Uhr bis 18 Uhr lassen sie ihr eingezäuntes Haus erglühen und Nebel im Foyer wallen. Hinaus in die Stadt schallen Schauspieler*innen mit immer neuen Beispielen aus einem Katalog von 1.000 Fragen: Wo soll das alles hinführen? Habe ich die Welt in mir oder ist sie außer mir? Ist Gott eine Erfindung des Menschen? Können Fische rückwärts schwimmen? Warum machen Sonntage uns traurig?

„Es scheint aus der Mode gekommen zu sein, Fragen zu stellen. Es herrscht eine Mentalität der Antworten. Ohne Fragen passt alles zusammen. Nichts stört. Fragen können alles verändern. Fragen öffnen. Fragen konfrontieren uns mit uns selbst“, so haben Hausregisseurin Antje Thoms und Bühnenbildner Florian Barth das Konzept der Aktion formuliert. Täglich kommen 20 bis 30 Menschen zum Gucken, Lauschen und Nachdenken zu dieser wohl offensivsten Stellungnahme zum fortgesetzten Theater-Lockdown im Norden.

In anderen Städten versuchten Theatermacher am 30. November, „Zeichen von Zuversicht, künstlerischer Energie und Verbundenheit zu ihrem Publikum“ zu senden. In Oldenburg sangen sie in der in der Innenstadt und projizierten Inszenierungsfotos an die Theaterfassade. In Hannover bildeten Staatstheater-Beschäftigte eine Menschenkette, das Theater Osnabrück öffnete Fenster, ließ ein Hornquartett hinausblasen und Tonaufnahmen verschiedener Stücke erklingen: eher hilflose Versuche, mit wachsendem Ohnmachtsgefühl weiterhin Aufmerksamkeit zu generieren.

Derzeit wirkt die Theater-Lübeck-Website wie eine Todesanzeige. „Stille“ steht da in Versalien, daneben ein grabstein­artiger Fond mit den Worten „Denken Fühlen Sehen Hören“

Außergewöhnlich verhalten sich dagegen die Lübecker. Andere Bühnen bringen Adventskalender online, spielen dort Bingo, lesen vor, podcasten, posten kleine Filmchen und Videos großer Diskussionsrunden, streamen endlos Probenausschnitte sowie ganze Produktionen. „Wir verzichten auf diese Ersatzhandlungen, die eher den Mangel zeigen als das, was Theater kann, wir sparen uns unsere Kraft und das Geld für eine Wiedereröffnung mit Wumms. Dann wollen wir auch über die Grundrechtseinschränkungen während der Pandemie reden. Ich glaube an die Kraft des Theaters und nicht, dass das Publikum uns vergisst“, so Sawade. Derzeit wirkt die Theater-Lübeck-Website wie eine Todesanzeige. „Stille“ steht da in Versalien, daneben ein grabsteinartiger Fond mit den Worten „Denken Fühlen Sehen Hören“.

Da in den Theatern gearbeitet, aber nicht öffentlich gespielt werden darf, wird der Premierenstau inzwischen zum Problem. Allein das Schauspiel Hannover wird bis Ende Januar zwölf Produktionen bis zur Generalprobe geführt und in der Warteschleife archiviert haben.

Wie damit umgehen? Bei den Beteiligten wächst Ungeduld und psychische Erschöpfung, wenn nur für immer wieder verschobene, fiktive Premierentermine oder gleich für die Mülltonne gearbeitet wird. Einige Bühnen veranstalten daher Leerpremieren, spielen also nur für eine Handvoll Journalisten, damit das Ensemble wenigstens mal eine Rückmeldung in Rezensionsform bekommt. Andere streamen ihre Premiere live gegen Entgelt. Was sich aber nur sehr wenige Bühnen leisten können, viele haben nicht mal eine Videoabteilung.

Und wie geht es weiter? Einige Theater haben freiwillig bis Ende Januar oder Ende Februar ihre Coronapause verlängert. Allerdings wären schrittweise Öffnungen in den Ländern erlaubt, wenn „sie eine Inzidenz von deutlich weniger als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen und eine sinkende Tendenz aufweisen“, wie es in der vorletzten Corona­verordnung des Bundes heißt. Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sind mit den aktuellen Sieben-Tag-Inzidenzwerten von 67,8 und 47 noch weit drüber oder nur knapp darunter.

Insolvenzsorgen müssen sich subventionierte Häuser allerdings vorerst nicht machen, weil die institutionellen Förderungen ja weiter fließen. Viele Theatermenschen fürchten aber, bald für das erzwungene Nichtspielen bestraft zu werden – wegen der coronabedingten Milliardenschulden bei Bund und Ländern. „Die Reduzierung von Kulturetats und Zuschüssen für Theater, das deutet sich ja jetzt schon an, die Diskussionen laufen“, sagt Hannovers Schauspiel-Intendantin Sonja Anders. Was sie trotzdem hofft? „Vor voll besetzten Zuschauerreihen werden wir bis Mitte 2021 wohl nicht spielen dürfen, aber vielleicht auf der Bühne endlich wieder hemmungsloser und ohne Abstand agieren können.“

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