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„Er hat die Grenze zwischen Unterhaltung und hoher Literatur eingerissen“

Yassin Musharbash, 44, studierte Politikwissenschaften und Arabistik in Göttingen und Ramallah. Er ist Journalist bei der Zeit, vorher war er auch für die taz tätig. 2011 erschien sein Thriller "Radikal".

taz: Herr Musharbash, Sie haben für einige Zeit für John le Carré gearbeitet. Wie kam es dazu?

Yassin Musharbash: John le Carré hat für viele seiner Bücher Leute beschäftigt. Das waren Menschen, die sich mit bestimmten Themen sehr gut auskennen und mit denen er sich persönlich gut verstanden hat. Da war ich nicht der einzige. Ich wurde ihm 2007 empfohlen, um ihm für sein Buch „Marionetten“ zuzuarbeiten.Das Buch spielt in Deutschland und er brauchte jemanden, der sich mit islamistischem Terrorismus und mit Sicherheitsbehörden in Deutschland auskannte.

Warum Sie?

Ich bin ja hauptsächlich Journalist und beschäftige mich mit genau diesen Themen. So kam ich ins Spiel. Wir haben uns dann einmal persönlich getroffen, um ums kennenzulernen, und haben uns auf Anhieb gut verstanden.

Was von Ihnen ist in dieses Buch eingeflossen?

Bis „Marionetten“ Ende 2009 fertig war, habe ich verschiedene Dinge gemacht. Anfangs habe ich einzelne Kapitel kommentiert, sozusagen aus meiner Expertensicht. Er hatte immer mal wieder Nachfragen. Da ging es oft darum, wie diese Leute denken, wie sie reden. Zu einem seiner Protagonisten habe ich zum Beispiel eine fiktive Biografie auf drei Seiten verfasst. Damit er ein Gespür für diese Person bekommt, weil das Lebensläufe waren, mit denen er nicht so wahnsinnig vertraut war. Es ging um einen islamistischen Aktivisten. Vieles ist so dann durch seine Filter in das Buch reingerutscht. Einmal haben wir zusammen einen Plot ausgeheckt, wie man von einer Hilfslieferung nach Ostafrika unbemerkt Geld für Terroristen abzwacken kann. Das hat diebischen Spaß gemacht. Er hat äußerst präzise gearbeitet, und es war ihm immer sehr wichtig, dass die Dinge stimmen. Nicht jeder Fall, den er beschrieb, musste realistisch sein, aber glaubwürdig.

Aber ist das nicht auch komisch, andere Menschen sozusagen an seinem Buch mitschreiben zu lassen?

Ich glaube, das ist ein Ausweis von Klugheit. Am Ende ist es sein Werk, und niemand würde das je in Frage stellen. Aber wenn man die Möglichkeit hat, dass Leute einem zu sehr spezifischen Fragen weiterhelfen können, ist das natürlich sehr hilfreich. John le Carré war immer ein guter Rechercheur und hat beispielsweise die Orte, an denen seine Bücher spielen, grundsätzlich zuvor immer besucht. Ich habe teilweise Mails bekommen, in denen er mir schrieb, dass er gerade an der tschechischen Grenze durch die Gegend laufe, da einige Szenen seines Buches dort spielten.

Wo sehen Sie Zusammenhänge zwischen Journalismus und Literatur bei der Arbeit le Carrés?

John le Carré hatte immer eine kleine Schwäche für Journalisten. Sie stellen sich oft dieselben Fragen wie Agenten. Außer, dass sie in der Öffentlichkeit und im öffentlichen Interesse agieren und Agenten im Geheimen.

Welche Lücke hinterlässt sein Tod in der Literaturlandschaft?

Sein letztes Buch „Federball“ ist meiner Ansicht nach sehr unterbewertet und gilt als einer der kleinen, leichten Romane von ihm. Ist es auch einerseits, andererseits aber auch nicht, da es darin auch um die Brexit-Entscheidung geht. Und John le Carré hatte eine starke Meinung dazu. Er war so wütend die letzten Jahre deswegen. Das fließt alles in das Buch mit ein. Das war eine Art Notwehrbuch gegen den Brexit. Diese Wut, dieser heilige Zorn, den er die letzten Jahre über Trump und über den Brexit hatte – das ist für mich ein Ausweis dafür, wie wichtig ein politisch engagierter Literat für eine Gesellschaft sein kann. Da bleibt natürlich eine Lücke. Dieser Zorn, den er hatte, auch als jemand, der früher für dieses Land gearbeitet hatte, war eine sehr deutliche Abrechnung. John le Carré ist einer der wenigen Thrillerautoren, die es geschafft haben, diese Grenze zwischen Unterhaltung und hoher Literatur einzureißen. In England ist gerade einer der großen Literaten der Nachkriegszeit gestorben, nicht einer der großen Thrillerautoren.

Interview: Luisa Kuhn

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