„Götz von Berlichingen“ als Theater-Film: Transfer ins Traumartige

Das Theater Osnabrück zeigt „Götz von Berlichingen“ digital – als Film, der nicht nur Bühnengeschehen dokumentiert. Ein Besuch bei den Dreharbeiten.

Ein Schauspieler mit hoch toupierten roten Haaren und Pelzmantel auf der Bühne.

Dreharbeiten in Osnabrück: Oliver Meskendahl als Götz von Berlichingen Foto: Philipp Hülsmann

OSNABRÜCK taz | Spätmittelalterlicher Nahkampf ist laut. Kettenhemden klirren, Schwerter krachen auf Schilde, Harnische knirschen, Lanzenspitzen verhaken sich ineinander. Schlachtrufe branden auf, Verwundete röcheln sich in den Tod. In einem riesigen Banner wühlt knallend der Wind. Spätmittelalterlicher Nahkampf ist brutal.

Auch an diesem Mittwochmorgen Ende November, im 3. Akt von Goethes brachialem Sturm-und-Drang-Epos „Götz von Berlichingen“: Sechs blutgetränkte Kämpfer des Theaters Osnabrück stechen, hacken, schneiden, stoßen und prügeln aufeinander ein, ringen einander zu Boden, mitten unter ihnen Oliver Meskendahl mit bizarr deutschblonder Mähne, als Titelfigur. Schmerzschreie, Flüche, Wutgebrüll. „Yeah!“, feuert Kampfchoreograf Jan Krauter an. „Ihr macht das geil!“

Kleine Pause. Götz, haarewerfend, außer Atem, lachend: „Also, wie mach' ich das jetzt? Erst der Hieb von rechts, und danach dann der Stich, oder wie?“ Krauter reckt den Daumen hoch. Kamera, Lichtreflektor und Tongalgen werden neu ausgerichtet. Stille. „Uuuund: Bitte!“, ruft Daniel Foerster, heute nicht Theater-, sondern Filmregisseur.

Er ist der richtige Mann für solche (un-)klassischen Gemetzel. 2019 hat er in Osnabrück Heinrich von Kleists „Die Familie Schroffenstein“ auseinandergenommen, schräg, ironisch, nihilistisch und wild. Damals, als noch Zuschauer ins Theater durften, live, ohne Maske und Mindestabstand.

Es geht um die Grenzen der Freiheit. Darum, dass Gewalt Gegengewalt gebiert. Und der Kill Count ist am Ende wirklich beeindruckend

Seit vier Wochen dreht Foerster jetzt an seinem „Götz“. Jeden Morgen ist Aufnahme, jeden Nachmittag Probe. Dazwischen noch der Schnitt. Es wird ein abendfüllender Film. Am 12. Dezember hat er auf der Theater-Website Premiere, als Stream. „Götz“ ist eine Antwort auf Corona. Der einzige Weg, sich dem Publikum zu zeigen, ist ja derzeit das Video, die Drift ins Digitale.

Den Wandel zum Filmstudio ist das Theater Osnabrück mittlerweile gewohnt: Jüngst lief hier Dominique Schnizers „Tödliche Entscheidung“, ein interaktiver Krimi in drei Folgen, als Livestream, Chat mit dem Regieteam während der Vorstellung inklusive.

Aber heute, an diesem Mittwochmorgen Ende November, ist alles ein bisschen anders. Denn das goethesche Gefecht findet nicht auf der Bühne statt, sondern draußen, auf einem echten Gefechtsfeld, 20 Kilometer von Osnabrück entfernt, in Kalkriese: Für die Kampfszenen steht Foersters Regietisch ganz bewusst dort, wo 9 n. Chr. die Endphase der legendären Schlacht stattfand, in der Roms Feldherr Varus schmählich seine vollen drei Legionen verlor.

Wer hier gräbt, stößt auf die Überreste von 20.000 Toten. Praktisch für die Bühnenbildner: Die Wälder und Wiesen ringsum gehören zu einem Archäologiemuseum, und das hat hier einen Wall nachgebildet. Dass zwischen Varus und Götz fast 1.600 Jahre liegen, macht nichts: Festung ist Festung.

Die Sonne hat Kraft, die gewaltigen Bäume rauschen. Dramaturgin Marie Senf steht am Rande des Geschehens und erklärt, wozu die Ortswahl dient: „Wir erzählen in 'Götz’ ja die Geschichte eines Mythos. Das wollten wir am Ort eines Mythos tun.“

Um historische Korrektheit geht es Foerster ebenso wenig wie Goethe. Auch nicht um Freiheitspathos, Heldentum, einen Abgesang auf die Endzeit des Rittertums. „Jeder Gedanke, jedes Bild wird vielschichtig gebrochen, verfremdet“, sagt Senf und rückt ihren Mundschutz zurecht. „Es geht um toxische, kriegerische Männlichkeit. Es geht um verblendete Deutschtümelei. Und es geht darum, dass wir für unser postheroisches Zeitalter neue Erzählmuster brauchen.“ Abstraktion also, Transfer ins Traumartige.

Wir sind hier nicht am Set eines Drehs, der gern ein bisschen bei „Game of Thrones“ abkupfern würde. Das widerspräche auch dem, was für „Götz“ indoor entsteht, denn da werden moderne Kulissen anderer Produktionen recycelt.

Dass Foersters „Götz“ sich auch als Kritik an der wiedererstarkenden Rechtslastigkeit unserer Gesellschaft versteht, ist nicht zuletzt an der gewaltigen Deutschlandfahne abzulesen, die einer der Krieger schwenkt. Sie ist farblos, in Schwarzweiß. Holzschwerter liegen daneben im Gras. Manche Helme sehen aus wie eine krude Mischung aus Erstem Weltkrieg und Kochtopf. Und als Rüstung dienen bei manchen silberne Leggings, Glitzerturnschuhe.

Was hier stattfindet, ist eine Dekonstruktion. Und sehr politisch. „Würde er heutzutage leben“, sagt Senf mit Nachdruck, „wäre Götz Reichsbürger“. Wer hier also einen Götz erwartet, der trutzig-treu daherkommt, edelgesonnen womöglich, wird enttäuscht. „Unser Götz hat auch schon mal ganz schön Panik“, lacht Senf. Und dann macht sie nach, wie er dann flucht: „Scheißescheißescheiße!“

Außerdem schmilzt Goethes „Götz“ unter Foerster und Senf ziemlich zusammen. Begonnen hat alles mit 50 Textseiten, am Ende blieben davon 35. „Eigentlich ist die Story ja total dünn. Wir nehmen sie also eher als Themensteinbruch.“ Nicht alle fünf Akte kommen vollständig zum Tragen, Goethe-Verehrer werden also aufschreien. Aber es gibt auch Sachen, um die kommt man nicht herum. Zum Beispiel dieser Satz, den Götz, der sich wieder mal ziemlich in die Bredouille geritten hat, in Akt 3 sagt, verschanzt in seiner Burg: „Er kann mich im Arsche lecken!“ Senf schmunzelt. „Das sagt unser Götz sogar zweimal.“

Götz von Berlichingen: Premiere am 12. 12., 19.30 Uhr, www.theater-osnabrueck.de, danach als Video on demand

Der Dreh auf dem Varus-Schlachtfeld ist eine sicherheitstechnische Meisterleitung. Die verwegenen Gesichtstücher, die die Kämpfer tragen, verbergen ihre Atemschutzmasken. Der Nahkampf ist teils eher ein Fernkampf. Und auch das Technikteam wahrt Abstand. Aber manchmal, da geht es eben nicht anders, da muss man näher ran. Etwa, als bei Hannah Walther, die schon in „Schroffenstein“ zu Foersters starkem Ensemble gehörte, Blut nachgesprayt werden muss, für einen Kopftreffer.

Nein, es geht hier nicht um hehre Gefühle, nicht um anti-feudales Faust- und Fehderecht, erst recht nicht um das Hin und Her der Bauernkriege. Und wenn Meskendahl als Götz „sehr tief, sehr deutsch, sehr männlich“ ist, wie Senf sagt, ist das eine sarkastische, symbolistische Brechung. Es geht um die Grenzen der Freiheit. Darum, dass Gewalt Gegengewalt gebiert. Und der Kill Count ist am Ende wirklich beeindruckend.

Auch das Osnabrücker Theater lernt also um, weg vom Analogen. Es hat Formate entwickelt wie das digitale Publikumsgespräch „Theatre’n’Talk“, das nicht von ungefähr „T’n’T“ abgekürzt wird – schließlich hat es „explosives Potential“. Und nun also ein Spielfilm. „Nach außen ist alles tot“, sagt Marie Senf. „Aber im Inneren arbeiten wir wie blöde.“

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