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heute in hamburg„Hinter Geschichte stecken immer Geschichten“

Onlinevortrag „Der lange Arm der Gewalt. Das Beispiel einer NS-Täterfamilie: 18 Uhr, Infos und Anmeldung: www.gedenk­staetten-­hamburg.de

Interview Lukas Gilbert

taz: Herr Tessmann, Ihr Großvater wurde 1948 als NS-Verbrecher hingerichtet. Wofür wurde er verurteilt?

Heiko Tessmann: Mein Großvater war Kommandant im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel. Es gab mehrere Prozesse gegen ihn. Im ersten war er wegen der Hinrichtung von elf russischen Kriegsgefangenen angeklagt und wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Im zweiten ging es um die Todesmärsche von Fuhlsbüttel nach Kiel, an denen er beteiligt war. In diesem Prozess wurde er dann zum Tode verurteilt.

Ihr Großvater ist schon 1932 in NSDAP und SS eingetreten. Zog sich diese NS-Begeisterung durch ihre Familie?

Auch meine Großmutter war überzeugte Nationalsozialistin. Ihre Begeisterung wird etwa in Briefen zwischen ihr und meinem Großvater deutlich – und mit dem Kriegsende war damit nicht Schluss. Sie war weiter von der Ideologie überzeugt, ich erinnere mich noch an antisemitische Aussagen von ihr, als ich sie als Kind besucht habe.

Wann haben Sie von den Verbrechen Ihres Großvaters erfahren?

Unsere Familie hat sich in ganz Deutschland verteilt. Ich bin mit meinen Eltern bei Stuttgart aufgewachsen und wir hatten wenig Kontakt zum Rest der Familie. Deshalb war das lange kein großes Thema. Ich habe dann zum ersten Mal in den 80er-Jahren davon erfahren, als ich den Wehrdienst verweigern wollte. Um meine Verweigerung vorzubereiten, hat mir mein Vater damals einige Unterlagen über meinen Großvater gegeben, die er von einem verstorbenen Bruder bekommen hatte. Kurz bevor mein Vater dann 1991 starb, sagte er mir noch, er hätte gerne gewusst, ob sein Vater Kriegsverbrecher war oder nicht. Seit 1999, als mein Sohn auf die Welt kam, forsche ich nun intensiv zu meiner Familiengeschichte.

Mit welcher Motivation?

Foto: privat

Heiko Tessmann Jahrgang 1964, ist Landwirt und Arbeitspädagoge. Er forscht zur NS-Vergangenheit seines Großvaters.

Das Verhältnis zu meinem Vater war immer angespannt. Durch die Nachforschungen wollte ich ihn besser verstehen. Ich wollte meinen Kindern außerdem eine Antwort geben können, wenn sie nach der Geschichte unserer Familie im Nationalsozialismus fragen.

Wie gehen Sie ganz persönlich mit der Täterschaft in Ihrer Familie um?

Ich bin davon überzeugt, dass jüngere Generationen keine Schuld trifft. Wir waren keine Täter. Dennoch tragen wir die Verantwortung. Hinter Geschichte stecken immer Geschichten, die weitergetragen werden müssen.

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