Insektenschutz vertagt

Agrarministerin Klöckner blockiere vom Kabinett schon lange vereinbarte Pestizidverbote, kritisiert das Umweltministerium. Die CDU-Politikerin warnt vor Verlusten für Bauern

Schlecht für Insekten: Traktor verspritzt auf einem Acker Pestizide Foto: ­Hoermann/imago

Von Jost Maurin

Das Bundesumweltministerium und Naturschutzverbände werfen Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) vor, den Kampf gegen das Insektensterben zu blockieren. Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth kritisiert in einem internen Vermerk seines Ressorts eine „Totalblockade durch Bundesministerin Klöckner gegen jedweden Fortschritt beim gesetzlichen Insektenschutz und bei der Beschränkung von schädlichen Pflanzenschutzmitteln“ wie beispielsweise Glyphosat. Ähnlich äußerten sich am Mittwoch Ex­pert*innen von Greenpeace, Naturschutzbund und BUND im Gespräch mit der taz.

Gemeinsam mit dem gesamten Bundeskabinett hatten Klöckner und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) im September 2019 das Ak­tions­programm Insektenschutz beschlossen. Es sieht unter anderem vor, in Naturschutzgebieten ab 2021 Unkrautvernichtungsmittel und bestimmte Insektengifte zu verbieten. In ganz Deutschland sollte das besonders weit verbreitete Glyphosat nur noch bis Ende 2023 eingesetzt werden dürfen.

Solche Ackergifte töten Insekten oder Nahrung für sie. Das ist ein Grund, weshalb viele Arten auszusterben drohen. Als Bestäuber von Pflanzen und Beute für Vögel sowie andere Tiere haben Insekten jedoch wichtige Funktionen im Ökosystem.

Zuständig für das Pestizidrecht ist Klöckner. Aber zur Umsetzung des Kabinettsbeschlusses, klagt Umweltstaatssekretär Flasbarth, habe ihr Ministerium „bislang Folgendes geliefert: nichts“. Tatsächlich hat die CDU-Politikerin bisher keine Verordnungen etwa zu den Pestizidverboten in Naturschutzgebieten vorgelegt. Dabei sollten sie schon im kommenden Jahr in Kraft treten.

Stattdessen blockiert sie nun auch den Teil des Insektenschutzprogramms, für den das Umweltministerium die Federführung beansprucht: den Gesetzentwurf, mit dem Schulze insektenschädliche Lichtquellen reduzieren und pestizidfreie Randstreifen von Äckern vergrößern will. Für Letzteres sei das Agrarministerium zuständig, schrieb Klöckner vergangene Woche dem Bundeskanzleramt. Schulzes Entwurf fehle eine „angemessene Berücksichtigung der berechtigten Belange der Landwirtschaft“. „Dies ist nicht im Interesse meines Ressorts und der Union“, so Klöckner. Die Bundesregierung müsse „sehr genau abwägen“, welche weiteren Belastungen sie den Bauern noch zumuten könne, die schon unter der Coronakrise, der Afrikanischen Schweinepest oder dem verschärften Düngerecht litten.

Um die Jahreswende 2019/20 herum hatten Zehntausende Bauern der Bewegung „Land schafft Verbindung“ unter anderem gegen das Insektenschutzprogramm demonstriert. Und das, obwohl das Agrarministerium damals noch selbst argumentierte, dass es bei den Pestizidverboten nur um wenige Gifte und 158.000 Hektar Acker gehe – also 0,9 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland. Hinzu kämen 1,1 Millionen Hektar Wiesen (6 Prozent der Agrarfläche), auf denen aber auch jetzt schon wenig Unkrautvernichter und kaum Insektengifte eingesetzt werden.

Die Pestizide sollen nur auf einem kleinen Teil der Ackerfläche untersagt werden

Trotz der geringen Fläche warnte Klöckners Ministerium nun am Mittwoch davor, „den Obstanbau in Deutschland unmöglich zu machen“. Es könne keine Rede davon sein, dass man die Umsetzung des Aktionsprogramms verzögere, schrieb eine Sprecherin der taz. „Es geht vielmehr um Folgeabschätzungen, die wir fordern, die das Bundesumweltministerium aber bisher nicht geliefert hat.“

Martin Hofstetter, Agraringenieur bei Greenpeace, hält diese Begründung für „fadenscheinig und vorgeschoben“. „Das Thema ist nicht vom Himmel gefallen. Über Glyphosat diskutieren wir intensiv seit vier Jahren.“ Es gebe bereits genügend Erkenntnisse zu den ökonomischen Auswirkungen eines Verbots.

„Jetzt ist das große Problem, dass das Bundesagrarministerium vermutlich lange genug blockieren wird, bis in dieser Legislaturperiode nichts mehr passieren kann“, befürchtet auch Laura Breitkreuz, Artenschutzreferentin beim Naturschutzbund. „Es bringt immer neue Ausreden.“