BETTINA GAUS MACHT : Tina wird gemeingefährlich
Basta. Was heute noch verboten ist, kann morgen schon Staatsräson sein. Karrieristen müssen schnell sein
Tina nervt schon lange. Aber jetzt wird sie allmählich gemeingefährlich, und es spricht sich herum.
Der harmlose Frauenname ist in den Zeiten der reaktionären britischen Premierministerin Margaret Thatcher zum Akronym geworden: „There Is No Alternative.“ Bundeskanzler Gerhard Schröder hat das einige Jahre später knapp mit „Basta“ übersetzt.
Das gefiel Politikern – seltener: auch Politikerinnen – aller Lager so gut, dass sie es seither als Überschrift über viele ihrer Entscheidungen gesetzt haben. Gerne über kurzlebige und jetzt besonders gerne über solche im Zusammenhang mit der europäischen Schuldenkrise. Diskussionen enden inzwischen regelmäßig, bevor sie begonnen haben.
Es gibt gute Gründe, Wirtschaftsminister Philipp Rösler für eine Nulpe zu halten. Aber wo kommen wir eigentlich hin, wenn die Entlassung eines Ministers nur deshalb gefordert wird, weil er öffentlich über etwas spekuliert, worüber hinter vorgehaltener Hand sowieso alle reden? Was nämlich die Folgen sein werden, wenn Griechenland die Sparauflagen nicht erfüllt? Dass Rösler diese Folgen eigenen Angaben zufolge nicht schrecken, spricht aus meiner Sicht für einen bemerkenswerten Mangel an Fantasie.
Es kann einer von vielen möglichen Gründen sein, seine Partei nicht wählen zu wollen. Aber wer deshalb die Entlassung des Ministers fordert, offenbart damit – höflich formuliert – ein sehr begrenztes Verständnis von Demokratie.
Das liegt im Trend. Die Bundesregierung spricht Denkverbote aus und scheint Gewaltenteilung für ein nettes, aber altmodisches Wort zu halten. Das Parlament nimmt das mehrheitlich demütig zur Kenntnis. Wer es anders sieht, setzt die letzte Hoffnung auf die Justiz. Mal schauen, was das Bundesverfassungsgericht sagt.
Hören Sie dieses merkwürdig rollende Geräusch im Hintergrund? Das sind die Vorkämpfer des demokratischen Systems, die sich im Grabe umdrehen.
Eigentlich gehört es zum Wesen der parlamentarischen Demokratie, dass Parteien und ihre Repräsentanten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wenn sie sich mit denselben Themen befassen. Weil sie sich ja auch in ihren Staats- und Gesellschaftsvorstellungen voneinander unterscheiden. Die Betonung liegt auf „eigentlich“. So groß sind die Unterschiede ja inzwischen nicht mehr.
Alle – alle – Bundestagsparteien senden wider besseres Wissen die Botschaft aus, für die eigene Anhängerschaft werde die europäische Schuldenkrise keine dramatischen Folgen haben. Das ist eine Lüge. Es gibt für alle – Reiche und Arme, Linke und Rechte – nur noch die Wahl zwischen teuer und sehr teuer. Aber nächstes Jahr finden Bundestagswahlen statt. Das ist nicht die Zeit für Wahrheiten.
Im Augenblick mehren sich – in ganz unterschiedlichen politischen Lagern – die Stimmen derer, die einen Schuldenschnitt der Krisenländer befürworten und sagen, dass es schlechterdings unmöglich sei, die Probleme mit der Senkung von Mindestlöhnen und Renten bewältigen zu wollen. Noch vor wenigen Monaten galt eine solche Position als Häresie. Ich biete eine Wette an: Demnächst wird diese Ansicht mehrheitsfähig sein. Sie wird Staatsräson werden.
Wer dann noch sagt, er oder sie halte einen Schuldenschnitt für die falsche Lösung, muss mit Rücktrittsforderungen rechnen. Weit ist es gekommen.
■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Foto: A. Losier