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Querfeldein durch Niedersachsen

Immer geradeaus, über Stock, Stein und Elektrozäune: Die zweiteilige NDR-Reisedokumentation „Unterwegs auf der Luftlinie“ von Vanessa Kossen und Thilo Tautz

Von Wilfried Hippen

„In der Coronazeit, war das dann so ein schipperndes Stück Freiheit?“ Ein Satz, der in diesen Zeiten absurd klingt, aber in der ersten Folge der NDR-Reisedokumentation „Unterwegs auf der Luftlinie“ wird tatsächlich von der „Coronazeit“ in der Vergangenheitsform gesprochen. Eine Bootsbesitzerin, die die Protagonistin Vanessa Kossen als Anhalterin über die Weser setzt, spricht da von „Luxusquarantäne“, und spätestens in diesem Moment sieht man den harmlos unterhaltsamen Wanderfilm mit ganz anderen Augen, denn er wurde im Sommer 2020 gedreht.

Nur wenn man ganz genau hinsieht, bemerkt man, dass zweimal Gesichtsmasken abgenommen werden, bevor ihre TrägerInnen etwas in die Kamera sagen. Und wenn sich am Schluss des Films die beiden FilmemacherInnen Vanessa Kossen und Thilo Tautz in die Arme fallen, wirkt dies nicht herzlich, sondern wie eine Tabuverletzung.

Nun haben die beiden, genau wie ihre Kameraleute, die nötigen Tests vor den Dreharbeiten gemacht und die meisten Menschen, denen sie begegnen, bleiben in gebührendem Abstand zu ihnen. Die Hygienebestimmungen wurden bei der Produktion sicher genau eingehalten. Und dennoch wirkt es merkwürdig, dass Corona gerade mal in diesem einen Dialog kurz thematisiert wird.

Kossen und Schulz geben sich große Mühe, das Thema zu vermeiden, aber umso mehr drängt es sich in den Vordergrund. Es sollte wohl ein früheres „Verfallsdatum“ der Dokumentation vermieden werden, denn bei den Wiederholungen in späteren Jahren dürfte die Covid-19-Problematik eher störend wirken. Und bei guten Quoten soll es sicher auch weitere Staffeln der Serie geben.

Deren Grundidee ist so einfach wie einleuchtend: In drei Tagen wollen Vanessa Kossen und Thilo Tautz jeder für sich eine Strecke von 50 Kilometern möglichst in der Luftlinie bewältigen. Also nicht auf den gebräuchlichen Wegen und Straßen, sondern querfeldein. Beide dürfen dabei kein Geld ausgeben. Sie starten an den entgegengesetzten Enden der Strecke und treffen sich in der Mitte.

In der ersten Folge beginnt Vanessa Kossen die „Challenge“ in Bremen-Gröpelingen, Thilo Tautz startet im ostfriesischen Dyksterhusen, dem sogenannten „Endje vun de Welt“. Beide treffen sich dann am Zwischen­ahner Meer. Gewässer müssen überquert werden, manchmal versperren Absperrungen den Weg und auch sonst lassen sich Umwege kaum vermeiden.

Dank GPS ist der richtige Weg auf den Meter genau erkennbar und Thilo Tautz entwickelt beträchtlichen sportlichen Ehrgeiz, um möglichst auf der Ideallinie zu bleiben. So schwimmt er etwa durch die Ems und lässt sich auch von einem Elek­trozaun und weidenden Bullen nicht von der Durchquerung einer Weide abhalten. Vanessa Kossen hat dagegen keine Probleme damit, sich von einem Rentnerpaar in deren Boot auf der Hunte bis nach Oldenburg, also mehr als die Hälfte des Weges, mitnehmen zu lassen.

Beide treffen viele hilfsbereite Niedersachs*innen auf ihrem Weg, sodass sie sich etwa über Unterkunft und Reiseproviant keine Sorgen zu machen brauchen. Vanessa Kossen und Thilo Tautz sind seit vielen Jahren NDR-Moderator*innen. Das Publikum kennt und mag sie und wohl auch deshalb wurden ihnen viele Türen geöffnet. Denn wer will sich nicht im Fernsehen als gute(r) GastgeberIn feiern lassen?

„Unterwegs auf der Luftlinie“ ist Reality-TV zum Wohlfühlen, das ein idyllisches sommerliches Niedersachsen 2020 zeigt. Und ein Beispiel für „alternative reality“.

„Unterwegs auf der Luftlinie“: Fr, 13. 11., 21.15 Uhr, NDR Fernsehen und ARD-Mediathek, www.ardmediathek.de. Der zweite Teil wurde in Mecklenburg-Vorpommern gedreht und wird am 20. 11. um 21.15 Uhr gesendet

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