Achtung, Luftlöcher!

Eigentlich will Rot-Rot-Grün auch beim Flugverkehr auf Klimaschutz achten. Doch bisher sorgt nur Corona für sinkende Passagierzahlen

Von Claudius Prößer

Noch ist die Initiative „Am Boden bleiben“ etwas unentschieden, was ihr lieber wäre: Dass von Berlin überhaupt nicht mehr geflogen wird oder nur „Bullshit-Flüge“ dran glauben müssen (siehe Interview S. 41). In jedem Fall werden die als Pinguine verkleideten AktivistInnen am Eröffnungswochenende versuchen, die Inbetriebnahme des Großflughafens „Willy Brandt“ – vulgo: BER – maximal zu stören.

Wobei es gar nicht so viel zu stören gibt: Die große Party kommenden Samstag fällt aus, denn sich selbst zu feiern, wäre der Flughafengesellschaft FBB nach acht Krisenjahren dann doch peinlich gewesen. Und dank der frisch zurückgeschwappten zweiten Coronawelle bleibt der Flugbetrieb, der ab dem 31. Oktober hochgefahren wird, eine dünne Angelegenheit.

Der Virus und die Folgen für den Luftverkehr – mit diesem Plottwist hatte bis Anfang des Jahres niemand gerechnet, obwohl man vom BER eigentlich jede Überraschung gewohnt war. Jetzt aber hat sich eine völlig paradoxe Situation ergeben: Nachdem jahrelang gestritten wurde, ob der BER nun viel zu klein oder doch nur ein bisschen zu klein für das kräftig wachsende Passagieraufkommen sei, nachdem die Flughafengesellschaft ein erstes Ergänzungsterminal aus dem Boden stampfen ließ und weitere folgen sollten, ist der Airport auf einmal völlig überdimensioniert. Wurden 2019 in Tegel und Schönefeld-Alt mehr als 35 Millionen Menschen abgefertigt, werden es Ende 2020 vielleicht nicht einmal 10 Millionen sein.

Und wenn FBB-Chef Engelbert Lütke Daldrup, der Retter des verhunzten Projekts, zuletzt mit Stolz verkündete, dass der Probebetrieb mit tausenden KomparsInnen ein voller Erfolg gewesen sei, dann machte er trotzdem immer ein angemessen sorgenvolles Gesicht. Schließlich steht er an der Spitze einer Firma, der die Kundschaft in Scharen davonläuft – wenn auch nicht aus freien Stücken.

„Noch nie war die Unsicherheit im Luftverkehr seit dem Zweiten Weltkrieg so groß wie jetzt“, auf diesen Superlativ legt Lütke Daldrup Wert. Und Recht hat er: Mit den erneut explodierenden Infektionszahlen könnte das Flugaufkommen wieder dramatisch einbrechen. Vielleicht nicht so heftig wie im April, als die Passagierzahlen auf 0,9 Prozent des Vorjahresmonats zusammen schnurrten. Aber gerade beim für die FBB vergleichsweise lukrativen und nahezu komplett eingebrochenen Interkontinentalgeschäft gibt es keinen Silberstreif am Horizont.

Die Erlöse der FBB brechen nach Informationen der taz 2020 wohl um die Hälfte ein. Mit „normalen“ Passagierzahlen und den entsprechenden Einnahmen rechnet die Geschäftsführung frühestens wieder 2024. Das wirft die Finanzplanung eines Unternehmens über den Haufen, dessen Umsatzerlöse – 2019 waren es 416 Millionen Euro – zu drei Vierteln aus den Entgelten für den Flugbetrieb stammen. Und das mit den Zins- und Tilgungszahlungen der knapp 6 Milliarden Euro aus dem Bau des BER sowie den Schallschutzleistungen eine schwere Bürde schultert.

Für die Zeit bis 2024 hatte der diesjährige Businessplan der FBB schon eine Finanzierungslücke von rund 800 Millionen Euro veranschlagt. Davon sollte die eine Hälfte am Kapitalmarkt aufgenommen werden, die andere sollten die drei Gesellschafter – Berlin, Brandenburg und der Bund – als Darlehen geben. Das ist nun dank Corona Makulatur, denn im Moment kann die FBB von Marktkrediten zu akzeptablen Konditionen nur träumen: „Durch die Baukatastrophe war unser Rucksack schon bis zum Rand vollgepackt mit Kreditverbindlichkeiten, wir hatten keinen Puffer mehr wie andere“, beschrieb Lütke Daldrup diese Zwickmühle vor Kurzem im taz-Interview.

Allein 2020 tut sich nun im Cashflow eine pandemiebedingte Lücke von bis zu 260 Millionen Euro auf. Immerhin ist sicher: Nachdem die drei Gesellschafter den Flughafen mit Zuschüssen und Darlehen von rund 2,5 Milliarden Euro bis zum bitteren guten Ende durchgebracht haben, werden sie auch jetzt nicht knausern. Knapp 100 Millionen Euro sind als Zuschuss schon bewilligt, um die Härten des Lockdowns auszugleichen, und auch der restliche Fehlbetrag kann gestopft werden. Die entsprechenden Zusagen gibt es bereits.

Nur eine Frage steht wie ein rot-rot-grüner Elefant im Raum. Das Land Berlin will in den kommenden 15, 20 Jahren klimaneutral werden: Wäre es da nicht höchste Zeit, das ursprünglich geplante massive Wachstum des BER auf eine Kapazität von 58 Millionen Passagieren 2040 zu deckeln? Flatten the curve in Sachen Luftverkehr?

In den vergangenen Jahren glänzten ausgerechnet die von den grünen Senatorinnen Ramona Pop und Regine Günther geleiteten Senatsverwaltungen für Wirtschaft sowie Verkehr und Umwelt nicht gerade mit entsprechenden Vorstößen. Auch jetzt signalisiert Günthers Verwaltung auf Anfrage nur: nicht zuständig. Tatsächlich ist das formal die Finanzverwaltung. Dort verweist man auf zweierlei: einmal die seit dem Frühjahr geltende Empfehlung (!) an alle Landesbediensteten, auf Flugreisen zu verzichten, verbunden mit der Zusage, höhere Kosten zu erstatten, die bei Bahnreisen entstehen können.

Reduzierung des Flugverkehrs? Ausgerechnet von den grünen Senatorinnen kam dazu wenig

Und dann die Maxime, dass der BER künftig in seiner Entgeltordnung ökologische Aspekte „stärker berücksichtigen“ soll. So steht es im Koalitionsvertrag. Weil das Parlament dem Senat schon im Herbst Druck machte, „dränge“ dieser nun bei Brandenburg und dem Bund auf eine CO2-Komponente, wie Finanzstaatssekretärin Vera Junker sagte. Nicht ohne hinzuzufügen, dass diese auf keinen Fall „die wirtschaftliche Entwicklung des Flughafens abwürgen“ dürfe. „Gar nicht konsensfähig im Kreis der Mitgesellschafter“ sei im Übrigen die Forderung, nur noch neue Langstreckenverbindungen durch Rabatte für die Airlines zu fördern und den Umfang aller Langstreckenflüge zu reduzieren.

Natürlich kommt in diesem Zusammenhang schnell das Thema „Verbot von Inlandsflügen“ auf. So einfach, wie es sich anhört, ist das aber nicht: Eine entsprechende Regelung könnte nur auf Bundesebene getroffen werden. Aber hier kommt auch wenig von Berlin. Das muss allerdings nicht so bleiben: „Wir wollen künftig als Land zu weniger Flugbewegungen beitragen“, sagt der klimaschutzpolitische Sprecher der Grünenfraktion, Georg Kössler, zur taz, „und das heißt auch, dass der Masterplan BER 2040 keinen Ausbau, sondern eine planvolle Reduktion beinhalten muss.“

Eine wichtige Voraussetzung für weniger Inlandsflüge ist eine gute Anbindung des BER an das Fernbahnnetz. In Schönefeld wurden die baulichen Voraussetzungen dafür mit dem Bahnhof unter Hauptterminal T1 geschaffen, sie könnten besser kaum sein. Zum Start hält aber gerade einzig und allein der IC Dresden–Berlin–Rostock.

Der verkehrspolitische Sprecher der SPD im Abgeordnetenhaus, Tino Schopf, setzt dann auch mehr auf Anreize als auf Einschränkungen: „Verbote sollten nicht vorschnell ausgesprochen werden.“ Stattdessen fordere seine Fraktion eine „signifikante Erhöhung der Finanzierung und des Erhalts sowie Ausbaus der Bahninfrastruktur“. Die Mehrwertsteuer auf Bahntickets solle komplett wegfallen, die Tickets deutlich billiger werden.

Ähnlich argumentiert sein Kollege bei der Linken, Kristian Ronneburg, der ohnehin davon ausgeht, dass der Luftverkehr nicht mehr das Vor-Krisen-Niveau erreicht. Ronneburg plädiert dafür, die Fernbahnhöfe der Stadt besser zu nutzen, auch den vor Jahren abgehängten Bahnhof Zoo. Und: „Wenn Fernzüge möglichst viele Flüge überflüssig machen sollen, brauchen wir auch Nachtzüge auf allen längeren Hauptverbindungen.“ Die Linke fordere, den sogenannten Deutschlandtakt mit einem Fernzugnetz in der Nacht mit Schlafwagen zu ergänzen.