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„Tote zu umsorgen, ist eine zärtliche Tätigkeit“

Cordula Caspary, erste Bestatterin Bremens, findet es wichtig, genau auf Wünsche und Vorstellungen der Hinterbliebenen einzugehen

Von Marie Gogoll

„Tote zu umsorgen, ist eine zärtliche Tätigkeit“, sagt Cordula Caspary. Sie sitzt in der Herbstsonne auf einer Bank an der Weser und schaut auf das Wasser. Die 54-Jährige leitet ein eigenes Bestattungsunternehmen in Bremen. Ihre wachen Augen zeugen von großer Neugier auf das Leben und die Menschen. Genau die, sagt sie, habe sie auch dazu gebracht, Kulturwissenschaften zu studieren. Der Wunsch zu verstehen, was Menschen und Gesellschaften zu ihrem Handeln bewegt.

Viele dieser Fragen finde man auch in der Auseinandersetzung mit Toten, sagt die Bestatterin. Das habe sie in einem Seminar über den „Wandel bürgerlicher Begräbnisvorstellungen“ festgestellt. Diese Erkenntnis war für sie der Anstoß, sich der Pflege Verstorbener zu widmen. Der Umgang mit Verstorbenen sei wie eine Momentaufnahme, die die großen Zusammenhänge der Gesellschaft widerspiegele, sagt Caspary. Und selbst hier zeige sich die ungleiche Behandlung der Geschlechter: „Trauerfeiern für Frauen sind in der Regel günstiger. Sie haben die günstigeren Särge, die kleineren Gräber, und auf den Grabsteinen steht häufig nur der Name des Mannes“, berichtet sie.

Cordula Caspary ist die erste weibliche Bestatterin Bremens. Frauen sind in diesem Beruf noch immer so selten, dass die Rechtschreibprüfung am Computer das Wort „Bestatterin“ rot unterstreicht. Casparys Weg in den Beruf begann 1996 mit einem Praktikum, da war sie dreißig Jahre alt. Vielen Frauen wurde zu dieser Zeit der Zugang zum Bestattungsberuf verwehrt. Sie bekamen zu hören, das sei einfach zu schwer – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Frauen fehle es schlichtweg an der nötigen Kraft. Das sei natürlich Unsinn, sagt Cordula Caspary. Schließlich arbeiteten in sämtlichen Pflegeberufen fast ausschließlich Frauen, und auch da müsse man häufig Körper heben.

An Körperkraft mangelt es der selbstständigen Unternehmerin ohnehin nicht. Die leidenschaftliche Kampfkünstlerin praktiziert seit über 30 Jahren Shinson Hapkido. Vertrauen, Respekt, Bescheidenheit, Geduld und Liebe – das sind die Grundprinzipien dieser koreanischen Kampfkunst. Und die prägten auch ihre Haltung im Beruf, sagt Caspary. Für sie gebe es keinen Unterschied zwischen dem Umgang mit lebenden und toten Menschen. Bei der Zeit mit einem Verstorbenen gehe es darum, sich diesem Menschen ganz zu widmen, um ihm den Raum zu geben, den er brauche. „Meine Art zu arbeiten bedeutet, dass ich mich ganz einlasse und mein Herz und mein Sein dem Menschen für die gemeinsame Zeit komplett zur Verfügung stelle“, erklärt die Bestatterin.

Die moderne Bestattungskultur verärgere sie oft. Verstorbene würden wie Gegenstände behandelt, Trauernde unter Zeitdruck gesetzt. „Dabei sind Verstorbene so schutzlos. Das Mindeste, was ich als Bestatterin tun sollte, ist doch, achtsam mit ihnen zu sein.“

Achtsam ist Cordula Caspary auch gegenüber den Vorstellungen der Angehörigen. Oft wagten Hinterbliebene nicht, ihre Wünsche an eine Bestattung offen zu formulieren, aus Angst, ihre Vorstellungen seien unrealistisch. „Aber das war noch nie der Fall“, sagt Caspary. Im Gegenteil, es sei sehr wichtig, die Wünsche der Trauernden zu erfüllen und sie in die Planung einer Trauerfeier einzubeziehen.

„Wenn ein geliebter Mensch stirbt, fühlen wir uns ohnmächtig. Das ist eines der schlimmsten Gefühle, die man haben kann. Die Trennung, die wir durch den Tod erleben, ist brutal. Wenn wir die Trauer so gestalten, dass sie zum Verstorbenen und auch zu den Angehörigen passt, ist das eine Möglichkeit für die Hinterbliebenen, aktiv zu werden und die Verbundenheit zu dem Toten zu spüren.“ Man müsse eine neue Beziehung zu dem verlorenen Menschen schaffen. „Man muss die Beziehung von außen nach innen holen.“

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