Da
hebste
ab!
Okay, der BER ist so gut wie eröffnet. Das heißt aber nicht, dass über den Fluchhafen und all die Pannen seit dem ersten Spatenstich 2006 nicht mehr gesprochen wird. Und wer weiß, wie es weiter geht?! Die taz nennt neun Thesen, mit denen Sie auch künftig in jeder BER-Diskussion locker mithalten können
Von Bert Schulz
1. Kann man das glauben: Der BER soll am Samstag in einer Woche wirklich eröffnen?
Am 1. Oktober hat die – Achtung: einmal Luft holen! – Gemeinsame Obere Luftfahrtbehörde Berlin-Brandenburg dem BER die Betriebsaufnahme gestattet und ganz offiziell das Betreiberzeugnis, sprich die letzte notwendige Genehmigung übergeben, gerade mal 14 Jahre nach dem ersten Spatenstich. Für Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, der seit 2017 die Baustelle managt, war es das finale Signal zum Take-off: „Nach menschlichem Ermessen steht einer Eröffnung des BER am 31. Oktober 2020 nichts mehr entgegen.“
Die Einladungskarten für die verhältnismäßig bescheidenen Eröffnungsfeierlichkeiten wurden bereits Ende September verschickt. Allerdings waren sie auch vor acht Jahren, für den 3. Juni 2012, schon verteilt gewesen: Damals musste der Startschuss gerade mal vier Wochen zuvor noch abgesagt werden.
Es folgten bis heute zahlreiche weitere Eröffnungstermine, etwa der 17. März 2013, der 27. Oktober desselben Jahres, das „zweite Halbjahr 2017“, auch der 30. Oktober 2011 war einst vorgesehen gewesen. Und die ursprüngliche Planung aus den 90ern hatte sogar 2007 als Starttermin angepeilt. Sollte man sich angesichts der vielen Pannen nicht doch auch jetzt noch eine gewissen Skepsis bewahren? Das schadet nie. Aber auf eine erneute Absage wetten sollten nur ganz waghalsig Bruchpiloten.
Ein Argument für: AllerweltsflughafenkritikerInnen
Überzeugungskraft (Skala 0 (lasch) bis 10 (hoch)): 2, täglich sinkend
2. Kein Wunder, dass es so lange dauerte: Der Flughafen ist ja ein ganz anderer als 2006 geplant!
Schon kurz nach der Wende wünschten sich Berlin und Brandenburg einen Flughafen. Also statt Tegel und Tempelhof im Westen sowie Schönefeld im Osten einen großen Start- und Landeplatz für das wiedervereinigte Berlin, das damals noch nicht Hauptstadt war, aber von sechs Millionen EinwohnerInnen träumte.
Anfang der 90er hatte Fliegen noch etwas von Eleganz und Luxus. Und selbst zu Zeiten des ersten Spatenstichs 2006 war dieser Glamour trotz der langsamen Etablierung von Billigfluglinien wie Easyjet noch nicht verblasst. Damals wollte sich die Fluglinie Air Berlin – der Name passte perfekt ins Imagekonzept von Berlins TouristenwerberInnen – zur Branchengröße aufschwingen und den BER zu ihrem Drehkreuz machen. Für den Emporkömmling richteten die Flughafenplaner nachträglich sogar einen Extra-Slot für Großraumflieger wie den Airbus 380 ein.
Das Licht geht nicht aus.
2013 gab es Probleme mit der Leittechnik, wo nach Umplanungen mehrfach angeflickt wurde.
Der Rauch muss durch den Keller.
Bei Feuer geht ein Teil des Rauches durch den Keller nach außen. Das sorgte für Spott, ist technisch aber möglich. Die Anlage war über die Jahre jedoch so groß geraten, dass sie sich nicht mehr steuern ließ.
Die Türen sind falsch nummeriert.
Jeder dritte der 4.000 Räume im Terminal trug nach Umplanungen bis 2014 eine falsche Nummer – und war etwa für Rettungsdienste nicht zu finden.
Vertrauliche Unterlagen im Müll.
Ordnerweise Baupläne lagen 2014 in einem Abfallcontainer auf offener Straße in Berlin. Es gab auch Hochstapelei und Schmiergeldaffären am BER.
Monitore laufen und laufen.
750 Bildschirme liefen jahrelang – bis sie schrottreif waren und entsorgt wurden. (dpa)
Es gab also jede Menge Umplanungen, Neuplanungen, deren Rücknahme. Die Kündigung des Flughafenarchitekturbüros gmp (von Gerkan, Marg und Partner) sorgte 2012 für weitere Verwirrungen. „Die Baustelle hat darunter gelitten, dass es sehr viele Änderungen im Planungs- und Bauprozess gegeben hat“, bilanzierte Flughafenchef Lütke Daldrup 2018 im Gespräch mit der taz. Und die Probleme reichten bis in kleinste Details: So waren Dübel verbaut worden, die Jahre später durch neue Bestimmungen nicht mehr zulässig waren, und Kabel verlegt, für die Ähnliches galt.
Für den künftigen Betrieb wird der BER nun auf Billig-Touristenbomber dringend angewiesen sein; von Air Berlin finden sich höchstens noch ein paar abgelaufene Schokoladenherzen in unteren Schreibtischschubladen.
Ein Argument für: BER-Fans
Überzeugungskraft: 7
3. Klaus Wowereit hat es verbockt
Kein Name eines Politikers ist so mit dem Flughafendebakel verbunden wie der des langjährigen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit. Für ihn sollte die Eröffnung des staatlichen Riesenprojekts die Krönung seiner Laufbahn sein. Sie wurde (s)ein Desaster. Und auch wenn er nicht direkt über eine der vielen Verschiebungen stolperte – Wowereit gelang es, seinen Abgang Ende 2014 unabhängig von einem BER-Eröffnungstermin anzusetzen – hat die Pannenserie den Regierenden und seine SPD schwer belastet.
Denn Wowereit war nicht nur Regierender, sondern auch lange Jahre Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft FBB. Als solcher musste er nicht jeden Mangel kennen, aber die politische Verantwortung für eventuelle Fehler tragen. Unvergessen bleibt, mit welcher Miene er am 8. Mai 2012 die Verschiebung des für Juni angesetzten Eröffnungstermins bekannt geben musste – eine Mischung aus Müdigkeit, Frust und Verzweiflung.
Kurz darauf wurde bekannt, dass, um diesen Termin zu retten, eine „Mensch-Maschine-Lösung“ mit rund 700 Personen erwogen worden war, die die Türen im Falle eines Brandes von Hand bedienen sollten. Denn die fehlerhafte Brandschutzanlage – die bald nur noch als „Monster“ firmierte – war eines der größten Probleme auf der Baustelle. Hohn und Spott für das angebliche technische Vorzeigeprojekt Deutschlands war die Folge.
2013 trat Wowereit schließlich als Aufsichtsratschef nach einer erneuten Terminschwierigkeit zurück; sein langjähriger Vize in dem Amt Matthias Platzeck übernahm. Als wiederum jener aus gesundheitlichen Gründen als Brandenburgs Ministerpräsident abtrat, wurde Wowereit noch einmal Aufsichtsratschef.
In Wowereits Amtszeit fielen viele im Nachhinein verhängnisvolle Entscheidungen, etwa die Kündigung der Architekten. 2013 drückten die Grünen, damals in der Opposition, sogar ein Misstrauensvotum gegen ihn im Abgeordnetenhaus durch. Es scheiterte. Die Einstellung von Hartmut Mehdorn als Flughafenchef (siehe unten) geht jedoch auf die Kappe von Matthias Platzeck.
Letzteres Beispiel zeigt, dass es falsch ist, die Schuld allein bei Wowereit und somit beim Land Berlin abzuladen, wie das bundesweit gerne getan wird. Schließlich gehört der Flughafen auch Brandenburg und dem Bund, beide entsenden Mitglieder in den Aufsichtsrat. Beide können eigentlich nicht so tun, als handle es sich um ein reines Berliner Projekt. Offenbar waren sie aber geschickter, sich wegzuducken, wenn es um die politische Verantwortung ging. Vielleicht lag’s aber auch an der Namensänderung: Anfangs lief das Projekt noch unter der Bezeichnung Berlin Brandenburg International (BBI). Erst 2011 wurde das geändert.
Letztlich hat der BER Wowereits Karriere beendet: Sein Abgang von der politischen Bühne, verriet er einmal der taz, hing stark damit zusammen, dass er 2014 keine Chance mehr sah, den BER in der damaligen Legislaturperiode noch zu eröffnen.
Ein Argument für: Wowereit-GegnerInnen
Überzeugungskraft: 7 (Wowereit-Bashing geht immer)
4. Flughafenchef Hartmut Mehdorn hat es verbockt
Mehdorn war der schillerndste der vier Flughafenchefs seit 2010. Gut zehn Monate nach der abgesagten ersten Eröffnung kam der frühere DB- und Air-Berlin-Chef auf die Baustelle. Er blieb zwei Jahre, bevor er hinschmiss und damit seinem Rauswurf zuvorkam.
Die Unstimmigkeiten begannen schon vor seinem Dienstantritt: Noch als Air-Berlin-Vorstand hatte Mehdorn eine Feststellungsklage auf Schadensersatz gegen die Flughafengesellschaft eingereicht, seine Loyalitäten waren nicht immer ganz klar. Später lieferte er sich einen Machtkampf mit Technikchef Horst Amann, der ab 2012 eine systematische Erfassung aller Mängel am BER veranlasst hatte. Als Mehdorn ins Amt kam, lag die Liste vor, mehrere Leitz-Ordner stark.
Damals sei klar gewesen, sagte Amann später im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses, dass der BER „ein vollständiger Sanierungsfall ist“. Man hätte innehalten und völlig neu planen müssen. Doch Mehdorn drängte Amann aus dem Job. Er wollte Erfolge und einen schnellen BER-Start. Auch aus der heutigen Flughafenführung ist zu hören, dass es effektiver gewesen wäre, nach 2013 den Bau komplett zu entkernen.
Ein Argument für: Fans der Deutschen Bahn
Überzeugungskraft: 7 (Mehdorn-Bashing geht auch immer)