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Planvoll nach rechtsaußen

Die AfD radikalisiere sich zunehmend, heißt es. Doch wer treibt die Radikalisierung der Partei voran? Das Buch der Journalistin Eva Kienholz will Antworten geben

Eva Kienholz: „Ihr Kampf. Wie Höcke & Co die AfD radikalisieren“. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2020, 160 Seiten, 16 Euro

Von David Begrich

Sind die rhetorischen Ausfälle des vormaligen AfD-Sprechers Christian Lüth ein Skandal, oder doch nur ein weiteres Glied in der unendlichen Kette rechter Tabu­brüche? Geht es um die AfD, vergeht keine Woche, in der nicht von Streit, Personalquerelen, Finanzskandalen und Ausflügen ihrer Funktions- und Mandatsträger in die Ideenwelt des Rechtsextremismus die Rede ist.

Die Namen Andreas Kalbitz, Björn Höcke und, etwas zurückliegend, Andre Poggenburg stehen für den Prozess der Verschiebung der Koordinaten der AfD von einer neoliberal-konservativen zu einer in weiten Teilen völkisch-nationalistischen Partei.

Treibende Kraft des seit Jahren andauernden Rechtstrends in der AfD: der „Flügel“, jene offiziell aufgelöste innerparteiliche Gesinnungsgemeinschaft, deren Aktivitäten sich nicht auf ein jährliches Sommerfest am Fuße des Kyffhäusers beschränkten, sondern vielmehr innerparteilich eine effiziente Macht-und Personalpolitik mit dem Ziel verfolgte, die AfD zu einer erfolgreichen Rechtspartei in Deutschland zu machen.

Den inzwischen aus der Partei ausgeschlossenen, aber der Brandenburger AfD-Fraktion noch angehörenden Andreas Kalbitz identifiziert die Autorin gemäß eines Bonmonts des Parteienforschers Franz Walter zu Recht als organisatorische „Effizienz“ des „Flügels“, während Björn Höcke sich als „Charismatiker“ in Szene setzt.

Im Reportagestil folgt die Autorin den Etappen der Rechtsverschiebung der AfD beginnend mit der sogenannten Erfurter Resolution, einer Erklärung von AfD Funktionären, die den Kurs der angeblichen Anpassung an den politischen Mainstream unter dem damaligen Parteichef Lucke kritisierte.

Im Zuge dessen nimmt das Buch das rechte Netzwerk um die AfD in den Blick. Die Kooperation von AfD-Leuten mit Vertretern der „Identitären“, zu denen eigentlich ein Unvereinbarkeitsbeschluss seitens der Partei besteht, wird ebenso beleuchtet, wie in die Strategie eines der Impulsgeber der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, und seines „Instituts für Staatspolitik“ eingeführt wird.

Der Nachweis, dass sich die Radikalisierung der AfD im Dreieck zwischen Parlament, Pegida und neurechten Strategen vollzieht, ist schnell geführt. Doch in der Einschätzung des neurechten Milieus ist die Autorin inhaltlich nicht ganz trittfest. Etwa dort, wo sie das Schisma zwischen dem IfS-Mitgründer Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek damit begründet, Kubitschek habe das Koordinatensystem der Partei noch weiter nach rechts verschieben wollen.

Dass es das gesellschaftliche Umfeld ist, Stichwort Pegida und Sarrazin-Debatte, in dem die Radikalisierung der AfD auf Resonanz stößt, kommt in dem Buch zu kurz.

Zwar stellt die Autorin dar, dass die „Flügel“-Anhänger in erster Linie im Osten innerparteiliche Machtkämpfe gewinnen und die mediale Positionierung der AfD ins völkisch-nationalistische Lager aktiv vorantreiben. Weshalb dieser Ansatz aber im Osten vor dem Hintergrund einer gegenüber dem Westen erhöhten Zustimmungsbereitschaft zu rassistischen und autoritären Einstellungen funktioniert, wird nicht weiter erörtert.

Andreas Kalbitz und Björn Höcke widmet die Autorin jeweils eine biografische Skizze ihres politischen Werdegangs und dekonstruiert gekonnt deren Erzählungen vom weitgehend unpolitischen Menschen, den die politischen Zeitläufe zufällig in den politischen Betrieb gespült hätten.

Die Stärke liegt in der atmosphärisch dich­ten Beschreibung der „Flügel“-Treffen

Die Stärke des Buches liegt jedoch in der atmosphärisch dichten Beschreibung der „Flügel“-Treffen, die die Autorin besucht hat. Von der Wortwahl der Redner über die Seitengespräche mit den zumeist männlichen Teilnehmern bis zur nationalistischen Fahnendekoration und der Wiedergabe rassistischer Klischees, die bei der Anhängerschaft auf Zustimmung stoßen, wird deutlich, welche politischen Maßnahmen das rechte Milieu in und um die AfD durchsetzen würde, wenn sie die Machtmittel dazu in der Hand hielten.

Im zweiten Teil des Buches referiert die Autorin die Erkenntnisse, die sie aus Gesprächen mit ehemaligen AfD-Funktionären gewonnen hat, die im Machtkampf mit Vertretern des „Flügels“ unterlegen waren.

Dass Abgeordnete wie der Brandenburger Steffen Königer den Rechtskurs der AfD lange mittrugen, erwähnt die Autorin, führt dies jedoch nicht weiter aus. Das ist eine vertane Chance, die Dialektik der innerparteilichen Rechtsverschiebung der AfD zu verstehen. Ehemalige AfDler wie Königer argumentieren, sie hätten im innerparteilichen Konzert nur aus taktischen Gründen ebenfalls schrille rechte Töne angeschlagen.

Dass eben dieses Wechselspiel zwischen taktischer Provokation und aus Überzeugung vorgetragenen Tabubrüchen, wie bei Björn Höcke, nicht nur die Radikalisierung der AfD befördert, sondern maßgeblich zur Diskursverschiebung beigetragen hat, kommt im Buch zu kurz. Dass dem Band ein Literatur- und Quellenverzeichnis fehlt, ist dem Konzept eines Reportagebandes geschuldet. Ärgerlich ist es dennoch.

Dieses Buch bietet zwar keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse zur AfD und ihrer politischen Strategie. Mit seinen schlaglichtartigen Einblicken in die Dynamik einer Rechtspartei, von der viele meinen, sie sei bereits in der Krise, weil ihre Kernthemen gerade keine Konjunktur haben, ist es jedoch ein atmosphärisch dichter Report über einen rechtsautoritären Männerbund in Gestalt einer politischen Partei, die niemand unterschätzen sollte.

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