Länder schützen Synagogen besser

Es fließt mehr Geld zum Schutz jüdischer Einrichtungen, von den Ländern und auch vom Bund. Aber reicht das? Gerade kleine Gemeinden seien häufig mit dem Schutz überfordert

Direkt nach dem Anschlag in Halle wurde der Schutz der Neuen Synagoge in Berlin erhöht Foto: Christian Mang/reuters

Von Sabine am Orde

Vor einem Jahr war Naomi Henkel-Gümbel an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, in der Synogoge in Halle, als ein Rechtsextremer versuchte, das Gebäude zu stürmen. Sie war in Halle zu Gast, sie lebt in Berlin. Hier fühle sie sich ziemlich sicher, sagt sie, aber Berlin sei eine Ausnahme. Gerade kleinen jüdischen Gemeinden fehle oft das Geld für wirksamen Schutz ihrer Einrichtungen. Henkel-Gümbel, die auch Nebenklägerin im Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter ist, sitzt in der Neuen Synagoge in Berlin, der Mediendienst Integration hat zum Pressegespräch geladen. „Ein Jahr nach Halle: Wie gut werden Synagogen geschützt?“, diese Frage soll besprochen werden soll.

Der Mediendienst hat in allen Bundesländern nachgefragt, was sie seit dem Anschlag verändert haben. Das Ergebnis: Fast überall werden jüdische Einrichtungen stärker bewacht. Auch hätten fast alle Länder zusätzliche Mittel bereitgestellt, um Synagogen, Kitas oder Schulen besser zu schützen – etwa mit schusssicherern Türen oder Schleusen am Einlass. Bayern etwa hat 8 Millionen, Hessen 4, Sachsen-Anhalt 2,4 Millio­nen zugesagt. Hinzu kommen 22 Millionen vom Bund.

Der Lackmustest sei, ob wirklich gebaut wird, sagt Ronen Steinke, Jurist und Journalist, dessen Buch „Terror gegen Juden“ gerade erschienen ist. Viel zu lange seien die jüdischen Gemeinden bei der Umsetzung der Sicherheitsempfehlungen der Polizei auf sich selbst gestellt gewesen. Auch müssten manche Gemeinden bis zu 50 Prozent der Kosten selber tragen. In die Synagoge in Halle sei vor dem Anschlag kein einziger Euro aus Steuermitteln für den Schutz des Gebäudes geflossen, so Steinke. Das sei „sehr klar ein Versagen des Staates“ gewesen. „Gefahrenabwehr ist Aufgabe des Staates“, betonte er. Deshalb müsse die Polizei sich in der Pflicht sehen, dieser Gefahr zu begegnen. Weniger als eine hundertprozentige Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen sei nicht akzeptabel. „Wenn wir das nicht sicherstellen, ist das Recht auf Religionsausübung nicht viel wert.“

Im Prozess gegen den Synagogen-Attentäter von Halle ist am Dienstag nochmals das Geschehen im Döner-Imbiss untersucht worden. Vor dem in Magdeburg tagenden Oberlandesgericht Naumburg sagte ein Zeuge aus, der sich während des Anschlags in dem Imbiss befand. Er floh auf die Toilette und erlitt eine Panikattacke. Noch heute leide er unter Angst und Panik. Wenn er schwer bewaffnete Polizisten sehe, dann werfe ihn das in diesen Tag zurück. Ein Kollege des getöteten Kevin S., der mit dem 20-Jährigen im Döner-Imbiss war, konnte nicht als Zeuge aussagen. Es wurden Atteste verlesen, die deutlich machten, dass er schwer gesundheitlich beeinträchtigt sei. Seine Anwältin sagte, der 40-Jährige sei seit dem 9. Oktober 2019 nicht mehr arbeitsfähig und kaum in der Lage, seine Wohnung zu verlassen. (epd)

„Der Schutz jüdischer Gemeinden ist besser geworden, aber er ist noch nicht flächendeckend gut“, räumte Jürgen Peter, Vizechef des Bundeskriminalamts ein. Auch sei „sehr viel mehr Dialog“ zwischen den jüdischen Gemeinden und der Polizei nötig. 2023 antisemitische Straftaten haben die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr festgestellt, die meisten seien rechts motiviert, so Peter. „Mehr als fünf Straftaten pro Tag, das ist unerträglich.“ Hinzu komme ein doppeltes Dunkelfeld: dass also die Polizei antisemitische Straftaten nicht als solche erkenne oder sie nicht angezeigt würden. Das bestätigte Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde Berlin. Oft würde die Polizei etwa nur die Körperverletzung aufnehmen, nicht aber deren antisemitischen Hintergrund. Zudem würde laut einer EU-Studie nur jede fünfte antisemitische Straftat gemeldet.

Steinke betonte, wie pervers die Situation sei, dass jüdische Einrichtungen bewacht werden müssen, und sprach von einem „Belagerungszustand“. „Damit wir zur Schule oder zum Gottesdienst gehen können, stehen Polizisten vor der Tür.“ Henkel-Gümbel, die auch das Verhalten der Polizei nach dem Anschlag in Halle und die Ermittlungen scharf kritisierte, betonte aber, dass Deutschland trotz allem das Land sei, in dem sie sich sehe. „Ich kann die Leute hier doch nicht allein lassen“, sagte die angehende Rabbinerin. Man dürfe diesen rechtsextremen Ideologien keinen Platz lassen und müsse solidarisch sein. „Ich muss meinen Teil beitragen.“