Im Schwitzkasten der Werkschützer von RWE

3.000 demonstrieren bei Ende Gelände gegen Braunkohlebagger im Rheinland. Dabei kommt es zu gewaltvollen Begegnungen mit 30 Security-Mitarbeitern und Polizisten

Aktion im Rheinland: Hier dringt der Finger Blau-Lila in den Tagebau Garzweiler ein Foto: Foto:M. Golejewski/AdoraPress

Aus Keyenberg Katharina Schipkowski

Unter Applaus der umstehenden Anwohner*innen verlassen am Sonntagmorgen 150 Personen mit goldenen Mund-Nase-Masken den Keyenberger Hof. Es ist der letzte „Demofinger“ von Ende Gelände, der an diesem Morgen noch im rheinischen Braunkohlerevier unterwegs ist.

Seit Samstagmittag hatten die Aktivist*innen den alten Gasthof besetzt gehalten. An Polizeiketten und einer Reiterstaffel vorbei hatten sie das Camp bei Keyenberg verlassen, einen Wald und einen Bach durchquert und waren in den leer stehenden Gasthof gelangt.

Insgesamt 3.000 Kohlegegner*innen sind dem Aufruf von Ende Gelände in diesem Jahr ins Rheinland gefolgt, um fossile Infrastruktur zu blockieren und den sofortigen Kohlestopp zu fordern. Im vergangenen Jahr waren 6.000 gekommen.

Für die Klimabewegung ist die Mobilisierung trotzdem ein Erfolg. Alle anderen Klimacamps und Massenaktionen zivilen Ungehorsams waren in diesem Jahr der Pandemie zum Opfer gefallen. Keyenberg, Lützerath und vier benachbarte Dörfer werden wohl RWE zum Opfer fallen. Trotz des besiegelten Kohleausstiegs im Jahr 2038 will der Stromproduzent den Tagebau Garzweiler weiter ausbauen. Die größte Kohlegrube Europas hat in den letzten Jahrzehnten über ein Dutzend Dörfer verschlungen. Wer durch das Braunkohlerevier fährt, kommt durch Geisterdörfer und muss Umleitungen fahren, weil Straßen nicht mehr existieren.

Mit der Besetzung des Gasthofs in Keyenberg will Ende Gelände die Aufmerksamkeit in diesem Jahr auf den Abriss der Dörfer legen. Die Kontakte zwischen Klimaaktivist*innen und Anwohner*innen sind eng. Im Juni haben sie gemeinsam eine Straße besetzt.

Die schmalen Straßen Keyenbergs spiegeln diesen Eindruck. In den Fenstern der Backsteinhäuser sind die Rollläden halb oder ganz runtergelassen, viele Gebäude stehen leer. „RWE versucht gezielt, soziale Orte zu vernichten und die Dorfgemeinschaft zu spalten“, sagt Ende-Gelände-Sprecherin Ronja Weil. Ende 2019 hat RWE den Gasthof gekauft, den Ausschank eingestellt und den Keyenberger*innen ihre letzte Kneipe genommen. „Dieser Ort steht symbolisch dafür, wie hier das ganze Leben zerstört werden soll“, sagt Weil. Deshalb habe man ihn heute wiederbelebt.

Hausbesetzungen sind eine neue Aktionsform im Repertoire der Klimaaktivist*innen. „Es war uns wichtig, die Eigentumsfrage zu stellen“, sagt Ende-Gelände-Sprecherin Paula Eisner. Um das Aktionswochenende trotz Corona stattfinden zu lassen, hat Ende Gelände einen enormen organisatorischen Aufwand betrieben. Statt eines großen Camps gab es 9 kleine, auch die 14 Demofinger waren entsprechend kleiner. Für die Polizei ist es einfacher, kleine Gruppen aufzuhalten. Trotzdem schafften es am Samstag mehrere Finger in die Grube Garzweiler, das Kohlekraftwerk Weisweiler und das Gaskraftwerk Lausward. Bis zum späten Abend gelangten immer wieder Aktivist*innen auf Gleise, an die Abbruchkanten von Tagebauten und auf eine Gaspipeline. Im Unterschied zu den teils nächtelangen Blockaden der vergangenen Jahre räumte die Polizei die Aktivist*innen jedoch meist innerhalb weniger Stunden.

„RWE versucht gezielt, das Dorf zu spalten“

Ronja Weil, Ende Gelände

In Garzweiler kam es zu einer gewaltvollen Begegnung mit 30 Security-Mitarbeitern des Energiekonzerns. Die Männer rannten auf die Eindringlinge zu, traten ihnen zwischen die Beine und brüllten „Kamera aus!“ Ein Werkschützer riss einen Journalisten zu Boden und nahm ihn in den Schwitzkasten. Einem anderen drohten sie, das Band seiner Kamera mit dem Messer durchzuschneiden.

RWE-Sprecher Matthias Beigel sagt dazu: „Niemand hat das Recht, hier einzudringen, auch die Presse nicht.“ Es gehe um die Sicherheit – auch die der Presse. Wie Gewalt und Behinderung der Berichterstattung zur Sicherheit der Presse beitragen sollen, erklärt er nicht. Es gab auch unverhältnismäßige Polizeigewalt.

Der „bunte Finger“, in dem körperlich eingeschränkte Menschen mitlaufen, wurde mit Polizeihunden ohne Maulkorb angegriffen. Der „grüne Finger“ wurde im Zug von Polizist*innen verprügelt – auf Videos sieht man, wie Beamt*innen auf am Boden Liegende einschlagen. An einem achtstündigen Polizeikessel erlitten zwei Journalist*innen Verletzungen. Vom Pferderücken aus hatten die Beamt*innen Pfefferspray auf die Demonstrierenden gesprüht. Ein Pferd scheute, der Fotograf und die Reporterin gerieten um ein Haar unter die Hufe. Die Reporterin wurde aber offenbar getroffen – sie kam mit doppeltem Rippenbruch ins Krankenhaus.