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Klicken und kratzen und fesseln

Die serbische Komponistin Milica Djordjević konzertiert beim Musikfest Berlin in der Philharmonie im Rahmen der Karajan-Akademie mit eigenen Werken sowie Stücken von Rebecca Saunders und Enno Poppe

Von Robert Mießner

Sonntagmittag, Probenatmosphäre im futuristisch anmutenden Kammermusiksaal der Philharmonie am Potsdamer Platz: „Ist das laut genug“, fragt Dirigent Enno Poppe die Komponistin Milica Djordjević. Sie verneint. Gerade hat ein gründlich geerdeter Basssound im Raum gestanden, generiert von Streichern und Perkussion, im nächsten Moment jäh von Blechbläsern durchkreuzt. Ein Konzertflügel ist auch da, doch spielt die Pianistin ihn wie ein vielstimmiges Trommelset, was ihr Tasteninstrument ja eigentlich auch ist. Damit nicht genug, sie scheint das schwere Instrument gleichsam an schwarzen Fäden zu führen.

Das Ensemble der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker hat sich zusammengefunden, um zwei neue Werke der serbischen Komponistin und Wahlberlinerin Djordjević einzustudieren, die am heutigen Dienstagabend im Rahmen des Musikfests Berlin zur Aufführung kommen sollen, gemeinsam mit zwei Stücken der ebenfalls in Berlin lebenden Komponistin Rebecca Saunders und einer Komposition von Enno Poppe.

Probenpause, Milica Djordjević sitzt im Ausstellungsfoyer der Philharmonie, hinter ihr eine der charakteristischen Farbglaswände des Hans-Scharoun-Baus. In den Sechzigerjahren hatten der Maler Alexander Camaro und die Keramikkünstlerin Susanne Riée hier mit vielfarbigen Glasbausteinen einen überraschend sakralen Minimalismus gestaltet, und irgendwie passt das Ambiente, während Djordjević über ihre neue Musik Auskunft gibt. „Transfixed“ und „Transfixed’“, einmal ohne, einmal mit Apostroph. Das muss als lesbare Unterscheidung der beiden Kompositionen reichen, Djordjević verzichtet bewusst auf eine Nummerierung. Das Stück ohne Apostroph ist die deutlich lautstärkere Komposition, mit Apostroph die leise, nicht minder intensiv knisternde Variante.

Woher kommt der Titel? Djordjević verweist auf die Wörterbucheinträge zum Verb „transfix“: „lähmen, durchstechen, durchbohren“, in der Adjektivform: „gebannt (an einer Stelle oder in einem Zustand).“ Und: „Durch eine zwingende Gewalt festhalten, binden, fesseln“, beziehungsweise: „gefesselt – in Bann halten, faszinieren; jemandes Aufmerksamkeit stark beanspruchen.“ Djordjević über die gewünschte Bühnenumsetzung: „Transfixed“ sollte in einem Atemzug aufgeführt werden. Als objektiv kurzer und subjektiv verlängerter Moment, wenn die Zeit stehenbleibt.“

Nicht stehenbleiben sollte die Imagination. Beide „Transfixed“-Teile eint ihr aufgerauter Impressionismus, ihre landschaftliche Klangsprache. „Alle meine Stücke waren zuerst Bilder“, sagt Djordjević und zeigt eine der Partituren: großformatige Notenblätter, in deren Notenzeilen Zeichnungen, Wind- und Wolkenformationen wie aus einem Wetterbericht, auffallen. Dann sind da Linien und Kurven, die verschiedene Intensitätsgrade anzudeuten scheinen, einmal mit schwarzer, dann mit roter Tinte markiert. Als rein grafische Notation, ein in der experimentellen Musik verwendetes Verfahren jenseits der traditionellen Notenschrift, möchte Djordjević das nicht sehen: „Dafür bin ich in meinen Klangvorstellungen zu streng.“

Die Musik soll in einem Atemzug aufgeführt werden, als kurzer Moment

Das schließt Überraschungen ausdrücklich ein. In einem Moment von „Transfixed“ beispielsweise lassen sich Klänge vernehmen, die aus einem Synthesizer zu stammen scheinen. Djordjević, die durchaus aber bis jetzt nicht oft mit den Möglichkeiten elektronischer Musik gearbeitet hat, sagt, sie findet es reizvoll, wenn akustische Instrumente elektronisch anmutende Sounds erzeugen. Was da klickt und kratzt, ist jedoch eine Plasteflasche, die der Perkussionist langsam knetet und zusammendrückt.

Sounds von den Superballs

In einem anderen Moment entlockt er seiner Pauke Sounds wie aus einem Streichinstrument, er tut dies mit Spezialschlägeln, sogenannten Superballs oder Friction Mallets mit elastischem Gummibezug. Auch die Pianistin benutzt sie, und Djordjević erläutert, was es mit den mysteriösen schwarzen Fäden auf sich hat. Das sind an die Pianosaiten geschnürte alte VHS-Bänder, die Obertöne und scharfe Klänge produzieren. Geht es ihr darum, Instrumente ihrem Zweck zu entfremden? Da lacht die Claudio-Abbado-Preisträgerin und meint, Musikinstrumente können vielmehr, als gemeinhin geglaubt wird. Ihnen das zu entlocken, das wäre der Zweck. Und: „Es geht um Energie, Spüren, Sinnlichkeit, manchmal bezaubernd, manchmal ungeheuer.“ Als dann die Perkussionistin einem großformatigen Gong ein industrielles Schaben entlockt, meint Enno Poppe von seinem Dirigentenpult: „Das wird Abrieb geben.“ Ein Satz, den Milica Djordjević freudig bejaht.

Heute, Philharmonie, Großer Saal, 20 Uhr. Tickets nur über berliner-philharmoniker.de

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