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Prinz schickt Blitz

In einem sensationellen Finale sichert sich der Slowene Tadej Pogačar den Tour-de-France-Sieg. Sein Landsmann PrimožRogličbricht solo am Berg ein

Aus Paris Tom Mustroph

Einen slowenischen Sieger würde diese Tour de France haben. Darüber herrschte große Einigkeit bei der Frankreich-Rundfahrt. Die meisten hatten ihr Prognosekreuz bei PrimožRogličgemacht. Zu dominant präsentierte sich dieser einstige Skispringer bei der großen Schleife. Sein Team Jumbo-Visma hatte das Rennen beherrscht. Er selbst schien auch seinen jüngeren Landsmann in die Schranken verwiesen zu haben. Auf dem Col de la Loze, dem härtesten Anstieg dieser Tour de France nahm er im Bergsprint Tadej Pogačar 15 Sekunden ab. Die Hierarchie schien gefestigt. Bis dann eben dieses Zeitfahren kam.

Tadej Pogačar, 21, flog zunächst über die ebene Strecke, die der Auffahrt zur Planche des Belles Filles vorgelagert war. Hier hatte er bereits 13 Sekunden auf Rogličgutgemacht, und nur fünf auf dessen Teamgefährten Tom Dumoulin, einen ausgewiesenen Zeitfahrspezialisten, verloren. Die meisten anderen Profis, auch die, für die es im Klassement noch um etwas ging, hatten bereits mehr als eine Minute auf Pogačar verloren.

Das sorgte für erstes Erstaunen. Wohl niemand hätte zu jenem Zeitpunkt gedacht, dass Pogačar noch die Gesamtrangfolge umdrehen würde. Er selbst auch nicht. „Ich habe nicht geglaubt, dass ich noch auf Platz eins komme. Ich wollte einfach mein Bestes geben bei diesem Zeitfahren“, sagte er später im Ziel. Noch glaubte sein früherer Jugendtrainer daran. „Vielleicht ist er sogar im Zeitfahren stärker. Am Ende aber bleibt Primožmit 30 Sekunden vorn“, hatte Miha Koncilija noch vorm Start der beiden im Gespräch mit der taz prognostiziert. Koncilija hatte Pogačar sechs Jahre lang trainiert, hatte gesehen, wie der am Anfang noch recht Kleinwüchsige die größeren und kräftigeren Burschen seiner Alterskategorie schlug – und später dann zu einem der jüngsten Profis überhaupt wurde. „Wir haben früh gesehen, dass er Talent hat. Aber dass er sich so entwickeln wird, nein, das konnten wir nicht voraussehen“, sagte Koncilija – und dieses Statement bezog sich noch auf die Situation vor dem Zeitfahren. Ein „Wunderkind“ nannte Koncilija seinen einstigen Schützling. Diese Aussage sollte der an diesem Samstagnachmittag vollumfänglich bestätigen.

Beim zweiten Zeitmesspunkt, nach 30,3 Kilometern, am Fuße des Anstiegs zur Planche des Belles Filles, hatte Pogačar weitere 23 Sekunden auf Rogličherausgeholt. Sein Rückstand hatte ursprünglich 57 Sekunden betragen – mehr als die Hälfte davon, angehäuft nach mehr als 3.000 Kilometer Fahrt, hatte er auf einem Prozent der Strecke, eben diesen 30,3 Kilometern bereits aufgeholt.

Die Jumbo-Visma-Profis, die zu diesem Zeitpunkt bereits im Ziel waren und sich dort auf dem heißen Stuhl des zwischenzeitlichen Halters der Tagesbestleistung ablösten, begannen, immer banger auf die Monitore zu starren. „Es schmerzte in den Augen, zu sehen, wie Primožimmer mehr in Schwierigkeiten geriet. Sein Tritt sah einfach nicht so rund aus wie gewohnt“, sagte Wout van Aert, zweifacher Etappensieger bei der Tour und am Samstag Tagesvierter.

Rogličsah nicht nur auf dem Rad schlecht aus, auch sein Radwechsel vom Spezialrad für den flachen Anfangsteil aufs normale Straßenrad für den Gipfel, verlief holpriger als der bei Pogačar. Auf den folgenden 3,3 Kilometern, dem ersten Teil des Anstiegs, entschied Pogačar dann schließlich diese Tour de France. 46 Sekunden holte er auf Rogličheraus. Auf den Bildschirmen wurde die Zeit des älteren Slowenen jetzt mit roter Farbe unterlegt, zum Zeichen, dass er in der Addition der Gesamtzeiten zurücklag. „Was soll ich sagen? Natürlich bin ich enttäuscht. Ich habe auch schon geheult“, sagte ein leichenblasser Rogličspäter auf der Pressekonferenz. Sein großer Traum vom Toursieg war ihm aus den Händen geglitten. „Wir waren zum Feiern bereit“, bestätigte auch van Aert. Dann aber fuhr ein Blitz in das Feierarrangement.

„Natürlich bin ich enttäuscht. Ich habe auch schon geheult“

Primož Roglič, Tour-Zweiter

Der Blitzeschleuderer selbst mochte noch gar nicht fassen, was ihm da gelungen war. „Ich kann es noch nicht richtig glauben“, sagte Pogačar, und fasste das gelbe Trikot an. Aber da war es wirklich, an seinem Leib, das echte, das dem Gesamtführenden einer Tour vergeben wird – und nicht das Merchandisingprodukt, das sich jeder im Laden kaufen oder im Internet bestellen kann.

Nein, er hatte das echte. Und dazu noch das des besten jungen Fahrers – und das Bergtrikot auch. Damit erinnerte er an jemanden wie den gewaltigen Eddy Merckx. Der Belgier wurde beim eigenen Tourdebüt auch Gesamtsieger und Bergkönig. Eine Nachwuchswertung gab es damals noch nicht. Merckx holte auch noch das grüne Punktetrikot des besten Sprinters.

Davon ließ Pogačar zumindest die Finger. In einem Atemzug mit dem „Kannibalen“ wird man den Burschen, der sich drei Wochen lang den Spitznamen „Kleiner Prinz“ verdiente, aber doch nennen. Und einen neuen Spitznamen braucht er auch. Der Prinz ist erwachsen geworden, auf phänomenalen 36,2 Kilometern.

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