piwik no script img

„Wir haben alle diesen Hunger“

Mit einer Gala meldet sich die Oper zurück im Bremer Kulturleben: Ob Musiktheater künftig möglich sein wird und wie, steht mehr in den Viren und dem Dickicht der Auflagen als in den Sternen

Foto: Medic Bernason

Ulrike Mayer

Lied- und Opernsängerin (Mezzosopran), seit 2013 Ensemblemitglied am Theater Bremen.

InterviewBenno Schirrmeister

taz: Frau Mayer, was ist das Schönste?

Ulrike Mayer: Das Schönste ist ganz eindeutig, sich wieder zu treffen, wieder miteinander und für Publikum musizieren zu dürfen – mit Abstand natürlich. Was man eben sechs harte Monate nicht konnte. Das ist der Kern.

Allein vor sich hin singen ist nicht so schön?

Nicht wirklich. Es gibt befriedigende Momente, wenn man übt, seine Stimme trainiert und die Gesangstechnik weiter verbessert, aber die große Freude liegt im gemeinsamen Musizieren. Es gibt wenig Beglückenderes, als mit und über die Musik in Verbindung mit einem anderen Menschen zu treten. Das habe ich durch diese Pause noch viel stärker erfahren. Und es war unglaublich schön zu sehen, dass, als wir im Sommer open air mit den Hof-Konzerten im Theater starten konnten, dass die Menschen kamen und sagten, wie sehr ihnen die Konzerte, die Oper fehlen. Zu Hause im Lockdown war man ziemlich allein mit der Frage: Sind wir systemrelevant? Hat das, was wir tun, irgendeine Bedeutung? Spielt es für die Zuschauer*innen eine Rolle, dass es uns gibt? Werden sie wiederkommen? Deswegen machen wir eine Gala, die das Ensemblesingen feiert.

Wie singt es sich denn mit Mundschutz?

Zum Glück müssen wir auf der Bühne keinen Mundschutz tragen, da wir die vorgeschriebenen Mindestabstände einhalten können.

Es gibt ein paar Folterszenen in Opern, da könnte das passen ...?

Also, ich glaube ich würde nach ein paar Takten singen unter dem Mundschutz kollabieren. Schon die Vorstellung verursacht mir Atemnot. Und das ginge auch wegen der Artikulation kaum. Im Alltag komme ich mir manchmal vor wie schwerhörig, weil ich die Menschen unter ihren Masken sehr schlecht verstehe und dauernd nachfragen muss, was sie gerade gesagt haben. Und das auf der Bühne – nein, das kann ich mir nicht vorstellen.

Nicht mal diese Plexiglas-Vorrichtungen?

Damit habe ich keine Erfahrung, aber mir scheint die Abstandsregelung da das singbarere „Übel“ zu sein. Am härtesten mit all den Auflagen hat es doch den Chor getroffen.

Aber die treten trotzdem auf?

Ja: Die singen diesen kleinen Chor aus „Madame Butterfly“.

„Es verunsichert natürlich, wie nah man denn nun einem Kollegen kommen darf. Die Vorstellung, was da an Lautstärke einemins Gesicht geblasen wird, wären auch so viele Viren …“

... den vom Ende des zweiten Akts?

Genau, den Coro a bocca chiusa – den Summchor, ganz ohne Mundschutz mit geschlossenen Mündern – wunderschön.

Singen heißt sonst aber immer, Aerosole abzugeben.

Das stimmt. Es verunsichert natürlich, wie nah man denn nun einem Kollegen kommen darf. Die Vorstellung, was da an Lautstärke einem Mitunter ins Gesicht geblasen wird, wären auch so viele Viren … Aber es gibt Studien, die zeigen, dass die Aerosole beim Singen nicht ganz so schlimm sind wie befürchtet und so ändern sich auch die Empfehlungen für Mindestabstände: Bis zuletzt war die Ansage, sechs Meter Abstand einzuhalten, jetzt wurde das auf drei reduziert. Wir spielen jedenfalls, ohne einander anzufassen, Requisiten werden nicht untereinander ausgetauscht, hinter der Bühne zieht man sofort seinen Mundschutz auf und das Opernhaus ist super belüftet: Bis zum Zuschauerraum kommt da nix.

Für Sänger*innen ist das doofe Virus ja eine doppelte Bedrohung: Einerseits sorgt es für ein Auftrittsverbot, andererseits greift die Krankheit die Lunge an, also Ihr Instrument ...

Ich nehme das sehr ernst. Die möglichen Langzeitfolgen wären tatsächlich für Sänger*innen der Super-GAU. Gleichzeitig ist es eine Umstellung im täglichen Miteinander: Theater hat viel mit Nähe zu tun. Auf der Bühne wie auch oft im täglichen Umgang: Früher begrüßte man sich unter Kollegen zum Beispiel gerne mit einer Umarmung. Ich denke mal, das ist in einer Bank oder in einer Behörde nicht so verbreitet. Ich habe den Eindruck, die Oper hat diese Pandemie stärker gelähmt als beispielsweise das Schauspiel: Die haben sich sofort sagen können, wir müssen überlegen, wie wir unter diesen neuen Bedingungen arbeiten können. Bei uns ist dagegen sofort klar gewesen: Das geht nicht. Orchester und Chor können ja nicht einmal proben wie bisher. Wie soll man da an einer großen Produktion arbeiten?

Immerhin gibt es dann keine Wagner-Opern, das ist doch schön.

Also ich mag die Musik von Wagner ganz gern. Aber von Wagner haben wir tatsächlich nichts bei unserer Gala. Dafür aber Duette aus großen Opern wie „Tosca“ sind im Programm.

Oft entspringt Kreativität ja gerade formalen Zwängen. Haben die Auflagen auch etwas davon?

„Mit Abstand das Schönste“: Opern-Gala, Theater Bremen, Großes Haus, Sa, 5. 9., 19.30 Uhr, und So, 13. 9., 18 Uhr

Das ist schwierig zu beantworten, denn ja, es sind zig Ideen entstanden, aus dem Ensemble heraus, wie man es dann doch machen könnte. Und die sind dann mit der Leitung besprochen worden. Aber meistens hat es sich dann doch als nicht realisierbar erwiesen. Mein Eindruck ist, dass die Vorgaben insgesamt mehr lähmen – weil sie sich so oft verändern, dass es schwierig ist, zu planen. Und, weil es so viele gibt, mit denen man gar nicht rechnet.

Zum Beispiel?

Extrem strenge Auflagen bei den Schminkvorgängen zum Beispiel: Man muss sich Haare und Gesicht im Haus vor der Vorstellung waschen, bevor ein Maskenbildner einen schminken darf, nach jedem Sänger muss alles desinfiziert und gelüftet werden, es dürfen nur zwei Personen in der Maske sein. Man darf nicht das selbe Requisit anfassen; wenn man von der Bühne geht, zieht man sich einen Mundschutz an, es müssen aber dann an allen Abgängen Mundschutze bereit liegen, denn man geht ja nicht immer an derselben Stelle von der Bühne, … Es hat manchmal schon etwas Tragikkomisches.

Aber Sie lassen sich nicht unterkriegen?

Absolut nicht, nein. Wir haben alle diesen Hunger, wir wollen etwas. Und dafür müssen wir eben durch diese Eisschollen hindurchmanövrieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen