piwik no script img

„Könnte ich es mir aussuchen, wäre ich kein BVB-Fan“

Women*Team (XVII): Sportlerinnen bekommen weniger Aufmerksamkeit und Geld für ihre Leistungen als Männer. Hier kommen sie zu Wort. Martina Keller liebt den Fußball, spielt mit 60 Jahren noch selbst und zieht Partien im Fernsehen fast allem anderen vor. Sie kritisiert, dass Vereine zu wenig in Frauenteams investieren

Foto: privat

Martina Keller60, spielt bei Union 03 Altona Fußball auf Kreisligaebene.

Von Sarah Mahlberg

taz: Frau Keller, Sie sind so fußballbegeistert, dass Sie von Abhängigkeit sprechen. Warum?

Martina Keller: Weil das manchmal Ausmaße annimmt, die mir selbst nicht mehr geheuer sind. Ich hatte mal die Wahl, zum 50. Geburtstag einer guten Freundin zu gehen oder das Finale der Champions League zwischen meinem Club BVB und Bayern zu gucken. Ich ging dann zum Spiel. Mein Freund ist sehr verständnisvoll, aber manchmal wird ihm das auch zu viel. Dass ich selbst spiele, ist noch das harmloseste, weil man mit 60 nicht mehr täglich trainiert.

Was am Fußball macht so abhängig?

Große Spiele haben schon einen Sog. Für zwei Stunden ist man in einer anderen Welt, in der es um alles oder nichts geht. So eine Aufregung wird einem im Leben sonst nicht geboten.

Sie haben aber lange auch gar keinen Fußball gespielt und geguckt.

Das ist mir selbst im Nachhinein ein Rätsel. Ich war von klein auf voll drauf und habe bis Anfang 30 viel gespielt. Dann habe ich Tango Argentino getanzt und bin wöchentlich bis zu viermal in die Milongas gegangen. Tango hat auch Ähnlichkeiten mit Fußball.

Inwiefern?

Der Tango Argentino ist unter den Tänzen so was wie der Fußball unter den Ballspielen. Wenig ist festgelegt, bei jedem Schritt kann man neu entscheiden, was man jetzt macht. Da muss man viel Intuition haben. Auch Fußball hat eine Eleganz.

Als Teenager haben Sie eine Zeit lang bewusst versucht, mit links zu spielen, obwohl Sie ein Rechtsfuß sind.

Mein Vater meinte irgendwann, ich solle mit dem Fußball aufhören, weil ich davon rechts eine „Knickerwade“ bekäme, und lieber schwimmen gehen. Aber schwimmen ist nichts für mich. Deshalb habe ich beschlossen, eben mehr mit links zu spielen. Da war ich ungefähr zwölf. Steht sogar in meinem Tagebuch. Heute kann ich auch mit links passabel schießen.

Wie gut waren Sie damals?

Das frage ich mich heute auch. Ich habe gestern erst die U17 des SC Freiburg beobachtet und damit hätte ich mich vermutlich nicht messen können. Die sind Leistungssportlerinnen, werden gut trainiert und korrigiert. Ich hatte mein erstes Training mit 21 und bin quasi Straßenfußballerin. Aber ich habe viel mit Jungs gespielt. Da habe ich mir eine gute Technik antrainiert. Und immerhin reicht es heute mit 60 für die Kreisliga.

Ist es besser, wenn Männer und Frauen zusammenspielen?

Der DFB empfiehlt seinen Toptalenten, so lange wie möglich mit Jungs zu spielen. Bis zur C-Jugend halten Mädchen körperlich mit. Später müssen sie schon sehr gut sein oder versuchen, Vorteile der Jungs wettzumachen, zum Beispiel Sprint­duelle vermeiden.

Wo steht der Frauenfußball?

Fußball ist der Sport, den die meisten Frauen in Deutschland machen. Aber der Männerfußball dominiert die Medien. Weil viel mehr Jungs Fußball spielen als Mädchen, ist die Leistungsdichte auch höher, aber in der Spitze ist der Frauenfußball schon sehr gut. TV-Sender könnten erheblich dazu beitragen, das sichtbarer zu machen.

Und auf Vereinsebene?

Immer wieder ziehen Vereine Frauenteams zurück, weil das Männerteam aufgestiegen ist. Das ist ein Skandal. 2012 hat der HSV sein Bundesligateam der Frauen abgemeldet, weil es zu teuer sei. Dabei kostete die gesamte Frauenabteilung nur 750.000 Euro, ein Bruchteil von dem, was die ganzen entlassenen Trainer den Verein an Abfindungen gekostet haben. Dass Traditionsvereine wie Schalke 04 oder auch der BVB keine ambitionierten Frauenteams haben, ist unglaublich. Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre ich kein BVB–Fan mehr, sondern Fan des FC Freiburg oder von Werder Bremen, die haben gute Frauenteams

Aber das können Sie nicht?

Nee, so einfach ist das nicht. Ich habe mal mit einer Sportpsychologin darüber gesprochen. Es gibt zwei Arten von Fans, die einen wechseln immer zu der Mannschaft, die gerade gut ist. Ich gehöre zur anderen Sorte. Ich komm nicht vom BVB los, auch wenn der Club Mist baut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen